Jean-Marie Musy (1876–1952), konservativ
Jean-Marie Musy besucht das Kollegium St. Michael und das Kollegium in Saint-Maurice, wo er die Matura ablegt. Seine Rechtsstudien an der Universität Freiburg schliesst er nach dem Lizentiat (1901) mit dem Doktorat (1904) ab. Seine juristischen Kenntnisse und sein Wissen in Wirtschafts- und Finanzdingen vertieft er durch Semester in München, Leipzig, Berlin und Wien. Dank der direkten Intervention von Georges Python wird er 1901 zum Substitut des Staatsanwalts ernannt, ein Amt, das er bis 1905 ausübt. Gleichzeitig bereitet er sein Anwaltspatent vor, das er 1906 erwirbt. Er eröffnet eine Kanzlei in Bulle (1906–1911), die er bis zu seiner Ernennung zum Direktor des Crédit gruyérien (1911–1912) führt.
Am 3. Dezember 1911 wird Musy, inzwischen auch Präsident des Cercle conservateur in Bulle, in den Grossen Rat und am 29. Dezember dank Pythons Unterstützung in den Staatsrat gewählt. Er tritt die Nachfolge von Alphonse Théraulaz an der Spitze der Finanzdirektion (1912–1919) an, um die Kantonsfinanzen zu sanieren und die Kreditwürdigkeit der Staatsbank wiederherzustellen.
Diese Aufgabe konfrontiert ihn mit Pythons finanziellen Winkelzügen und führt zu einer Opposition zwischen den beiden starken Männern der Exekutive. Durch die Enthüllungen und seine Krankheit geschwächt, tritt Python hinter Musy zurück, der in der Regierung rasch nach vorne drängt. Als sein Freund Emile Savoy (1913) sowie Marcel Vonderweid und Joseph Chuard (1914) in den Staatsrat nachrücken, gewinnt das Musy-Lager die Mehrheit. 1912 in den Verwaltungsrat der Staatsbank gewählt, prangert Musy die schweren Verfehlungen in der Geschäftsführung und Pythons Praktiken an, ohne jedoch den « Staatschef » direkt anzugreifen, um die Regierung nicht unnötig zu schwächen.
Die alarmierende Finanzlage wird durch den Krieg weiter verschlechtert. Mit verschiedenen Massnahmen sucht Musy den Staatshaushalt auszugleichen. Er ist an der Erarbeitung des Gesetzes über die FEW (1915) beteiligt, das dem Staat dringend benötigte Finanzen verschaffen soll. Im folgenden Jahr reorganisiert er die Tilgungskasse der Staatsschuld (1916). Durch die Revision bestimmter Steuerverfügungen (1916) und ein neues Steuergesetz (1919) vermehrt er die Staatseinnahmen. Diese Einkünfte werden 1919 durch eine Erhöhung der Registrierungsgebühr und des Salzpreises ergänzt. Um die Auswirkungen des Krieges auf die Preise
zu dämpfen, hebt Musy die Löhne der Staatsbeamten und Staatsangestellten an (1919). Seine Bemühungen führen schliesslich zum Erfolg der 1919 lancierten 12-Millionen- Anleihe, die mit 20 Millionen überzeichnet wird, ein Beweis, dass die Kreditwürdigkeit des Kantons wiederhergestellt ist. 1915 ist Musy Staatsratspräsident.
Im Nationalrat, dem er von 1914 bis 1919 angehört, fällt Jean-Marie Musy durch seinen Föderalismus, seinen Antisozialismus und seine Finanzkenntnisse auf (Verwaltungsrat der SNB ab 1913 und der Rentenanstalt ab 1917). Seine eindringliche Ansprache vom 10. Dezember 1918 vor dem Nationalrat, in der er den Generalstreik verurteilt und eine starke Regierung fordert, ist ein Meilenstein seiner politischen Laufbahn. Am 11. Dezember 1919 wird er im ersten Wahlgang in den Bundesrat gewählt, wo er dem Finanzund Zolldepartement vorsteht (1919–1934). Trotz der unbeständigen Wirtschaftslage gelingt es ihm, den Bundeshaushalt auszugleichen, indem er die Sozialausgaben kürzt, indirekte Steuern fördert und die Zollgebühren anhebt. 1927 führt er ein neues Beamtenstatut ein, das ein Streikverbot umfasst. Auf internationaler Ebene widersetzt er sich jeglicher Wiederaufnahme der Beziehungen zur UdSSR. 1925 und 1930 ist er Bundespräsident. Als das Volk 1934 das Gesetz über den Schutz der öffentlichen Ordnung verwirft, droht Musy mit dem Rücktritt, wenn er keine Garantien für sein politisches Programm erhält. Nach Ablauf seines Ultimatums tritt er am 30. April 1934 aus dem Bundesrat zurück.
Erneut in den Nationalrat gewählt (1935–1939), setzt er seinen Kampf gegen den Kommunismus fort. Er engagiert sich in nationalistischen und antikommunistischen Organisationen wie der Schweizerischen Aktion gegen den Kommunismus, über die er in Kontakt zu Heinrich Himmler und führenden Nationalsozialisten tritt. War er während des Ersten Weltkriegs für die Entente eingetreten, so wendet er sich nun, angetrieben von seinem Antikommunismus und seiner Neigung zu autoritären Regimes, dem Dritten Reich zu. Nach seiner Abwahl aus dem Nationalrat zeigt er sich während des Zweiten Weltkriegs offen als Anhänger der Achsenmächte und ihrer durch Militärerfolge gestützten neuen Ordnung. Gezwungen durch die Kriegswende, gibt er seiner Tätigkeit eine neue humanitäre Richtung. Von einer jüdischen Organisation um Unterstützung gebeten, nutzt er seine persönlichen Beziehungen zu Himmler, um die Befreiung jüdischer Deportierter aus dem KZ Theresienstadt zu erreichen. Diese Aktion, die ihn und hochrangige Nazis reinwaschen soll, ermöglicht die Einreise eines Konvois von 1200 Juden in die Schweiz. Nach Kriegsende gibt Musy jedes politische Engagement auf. Er ist weiterhin in verschiedenen Bankinstituten tätig und begibt sich 1949 in den Irak, um die Finanzen des Königreichs zu sanieren. Isoliert stirbt er 1952 im Alter von 76 Jahren.