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Donnerstag 21. Juni 2001, Kanton Ein Oberster Justizrat muss rasch her
Der Grosse Rat spricht sich klar für eine neue Aufsicht über die Freiburger Justiz aus
Ein Oberster Justizrat soll in Zukunft über die Freiburger Justiz wachen. Der Grosse Rat hat sich gestern klar für ein neues Aufsichtsorgan ausgesprochen und dabei den Staatsrat aufgefordert, dem Freiburger Stimmvolk möglichst rasch eine Änderung der Kantonsverfassung zu unterbreiten.
Von ARTHUR ZURKINDEN
Mit 95 zu 17 Stimmen hat der Grosse Rat die Motion von Charles-Antoine Hartmann und sechs weiteren Mitgliedern der ständigen Justizkommission angenommen. Dies bedeutet, dass der Staatsrat dem Freiburger Stimmvolk im nächsten Jahr eine Änderung der Kantonsverfassung unterbreiten muss. Der neue Artikel 64 der Kantonsverfassung soll dann wie folgt aussehen: «Mit Vorbehalt der Unabhängigkeit der Urteile sind die Gerichtsbehörden der Aufsicht eines Obersten Justizrates unterstellt, dessen Organisation, Zusammensetzung und Kompetenzen in einem Gesetz festgehalten werden. Der Oberste Justizrat legt dem Grossen Rat alljährlich einen allgemeinen und ausführlichen Bericht über alle Zweige der Rechtspflege vor, und zwar spätestens in der November-Session des folgenden Jahres.»
Heute ist es das Kantonsgericht, das über die unteren Gerichtsbehörden wacht und ihnen Weisungen erteilt sowie dem Grossen Rat jährlich einen Bericht unterbreitet. Die Kantonsrichter selber sind jedoch keiner Aufsicht unterstellt.
Für rasches Handeln
Mit diesem Abstimmungsergebnis hat sich das Kantonsparlament klar für ein rasches Handeln ausgesprochen. Der Staatsrat befürwortet zwar einen Obersten Justizrat, wie dies seiner Antwort auf die Motion entnommen werden konnte. Er wollte jedoch vorerst zwei Varianten studieren, um dem Grossen Rat noch vor Ende 2002 einen Entwurf für eine Verfassungsrevision zu unterbreiten.
Charles-Antoine Hartmann war jedoch mit diesem Vorschlag nicht einverstanden. Seiner Ansicht nach würde so unnötig viel Zeit vergeudet. Er begründete ausführlich, weshalb nicht mehr zugewartet werden dürfe. «Die Justizkommission bemängelt seit mehreren Jahren die Tatsache, dass die Aufsicht über die Gerichtsbehörde ausschliesslich Sache des Kantonsgerichts sei. Unbefriedigend ist auch, dass die Kantonsrichter von niemandem überwacht werden, vor allem dann nicht, wenn sie sich unter dem Deckmantel der Gewaltentrennung weigern, genügend Informationen zu liefern, um Kontrollen zu ermöglichen, ob die Justiz gut funktioniert», führte er aus und gab so zu verstehen, dass es nicht der Expertenbericht Piquerez-Cornu war, welcher die Justizkommission zum raschen Handeln bewogen hat.
Charles-Antoine Hartmann hielt auch nichts vom jurassischen Modell, das dem Justizrat lediglich disziplinarische Kompetenzen überträgt. Nach seinen Worten muss der Justizrat die Justiz direkt kontrollieren können, und zwar so, dass alle Gerichtsbehörden für ein gutes Funktionieren der Justiz sorgen. Deshalb lehnte er auch das Studium von zwei Varianten ab. Vertrauen in die Justiz
wieder herstellen
Charles-Antoine Hartmann erhielt in der Folge grosse Unterstützung. Nach Auffassung von Nicolas Bürgisser (CSP, St. Ursen) ist es höchste Zeit, dass das Volk wieder Vertrauen in ihre Justiz schöpft. Nach seinen Worten reagiert dieses bereits apathisch, desillusioniert und enttäuscht, wenn Urteile gefällt werden wie kürzlich. Die Bevölkerung könne auch nicht verstehen, wenn gewisse Affären wegen Verjährungen nicht vor den Richter kommen. «Ein Oberster Justizrat ist deshalb der nächste logische Schritt», betonte er.
Gleicher Meinung war SVP-Sprecher Heinrich Heiter. Wie er ausführte, hat der Expertenbericht Piquerez-Cornu Mängel an den Tag gebracht. So kritisierte er die Tatsache, dass die Strafkammer zugleich Aufsichts- und Beschwerdeinstanz sei. Nach seinen Worten hat das Freiburger Volk lange genug Skandale miterlebt und sich dabei gefragt, ob denn eigentlich nichts unternommen werde. «Jetzt haben wir einen Lösungsvorschlag auf dem Tisch», gab er zu bedenken.
«Die Justiz hat eine enorme Macht. Sie muss überwacht werden», plädierte Louis-Marc Perroud (SP, Villars-sur-Glâne) für die Einsetzung eines Obersten Justizrates. Hartmann erhielt aber auch Unterstützung aus den eigenen CVP-Reihen (Damien Piller) sowie von einer Minderheit der FDP (Claude Schwab-Bertelletto). Einer kleinen Mehrheit der FDP-Fraktion waren die Bedenken des Verfassungsrates nicht gleichgültig. Deren Sprecher Pascal Friolet erinnerte an die Haltung, die der Staatsrat und der Grosse Rat bei der Motion Ribordy betreffend Wählbarkeit der Ausländer eingenommen hatte. Damals habe man dem Verfassungsrat nicht vorgreifen wollen, gab er zu bedenken. Auch könne das Volk nicht verstehen, wenn es im Jahre 2003 (Teilrevision) und im Jahre 2004 (Totalrevision der Verfassung) abstimmen müsse. Der Murtner Anwalt hielt auch fest, dass die finanziellen Auswirkungen eines Justizrates nicht bekannt seien. Zudem würde die Zusammensetzung des Justizrates grosse Probleme verursachen. Er sprach sich deshalb für eine Entlastung des Kantonsgerichts aus, damit dieses mehr Zeit für seine Inspektionen einsetzen könne. Unterstützung erhielt er von Hans Stocker (CVP, Murten), der sich für das jurassische Modell begeistern liess. Nach seinen Worten kann es nicht angehen, dass dem Kantonsgericht die Aufsicht über die untergeordneten Gerichtsbehörden und somit das Vertrauen entzogen wird. Dies kann seiner Ansicht nach zu einem dauerhaften Misstrauen führen. Staatsrat will rasch reagieren
Die Gegner einer Teilrevision der Kantonsverfassung und Befürworter des staatsrätlichen Vorschlages waren aber klar in der Minderheit. Angesichts dieser Tatsache verteidigte Justizdirektor Claude Grandjean die regierungsrätliche Version nicht mehr gross. Er liess denn auch verlauten, dass sich der Staatsrat dem Willen des Grossen Rates beuge und dafür sorgen werde, rasch mit einer Revision der Kantonsverfassung aufwarten werde.
Verfassungsrat unzufrieden
Mit der Annahme der Motion Hartmann war sich der Grosse Rat auch bewusst, dass er dem Verfassungsrat wenig Freude bereiten wird. Dieser hatte sich mittels eines Schreibens an die Grossrätinnen und Grossräte gewandt und sie daran erinnert, dass es Sache des Verfassungsrates sei, sich grundlegende Gedanken über die Gerichtsbehörden und ihre Aufsicht zu machen. Laut Verfassungsrat wäre es nicht vernünftig und auch teuer, mit einer Teilrevision der Kantonsverfassung (Einsetzung eines Obersten Justizrates) vors Volk zu gelangen, um ihm dann wenig später eine Totalrevision zu unterbreiten, die möglicherweise eine andere Lösung vorsieht.
Der Grosse Rat ist souverän
Dieser Brief des Verfassungsrates liess aber im Grossen Rat nur wenige Spuren zurück. Die meisten Redner plädierten in der Folge für rasches Handeln und somit für eine Teilrevision der Kantonsverfassung. So rief CSP-Sprecher Benoît Rey in Erinnerung, dass auf Bundesebene auch eine neue Verfassung ausgearbeitet werde, was niemanden daran gehindert habe, Verfassungs-Initiativen zu lancieren. az
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