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Samstag 22. September 2001, Kanton Kollegialitätsprinzip leicht gelockert
Grosser Rat beriet Gesetz über die Organisation des Staatsrates und der Verwaltung
Ein Staatsrat darf künftig eine passive Haltung einnehmen, wenn er mit einem Beschluss seiner Kollegen nicht einverstanden ist. Er muss die Meinung der Regierung nicht nach aussen vertreten, darf den Entscheid aber auch nicht in Frage stellen. So ist das Kollegialitätsprinzip neu zu interpretieren.
Von ARTHUR ZURKINDEN
Der Grosse Rat hat gestern die erste Lesung des neuen Gesetzes über die Organisation des Staatsrates und der Verwaltung begonnen. Eine Totalrevision drängte sich umso mehr auf, als das alte Gesetz aus dem Jahre 1848 stammte. «Es gab damals noch kein Telefon. Freiburg hatte noch keine Bahnen. Wer von Freiburg nach Romont wollte, musste dies mit Ross und Wagen tun. Die Kantonsverwaltung kam noch mit 160 Mitarbeitern aus, während sie heute fast 2000 hat», rief der Präsident der parlamentarischen Kommission, Beat Vonlanthen, in der Eintretensdebatte in Erinnerung.
Nicht warten auf neue Verfassung
Er war sich dabei bewusst, dass dem neuen Gesetz nicht eine ähnlich lange Lebensdauer beschieden sein werde. In seinen Augen hätte der Entwurf noch vor zehn Jahren einem modernen Gesetz entsprochen. «Nun hätten wir noch weitergehen können. Wir hätten der Verwaltung noch mehr Selbstständigkeit geben können», meinte er. Wichtig für ihn war jedoch, dass nun rasch ein neues Gesetz in Kraft tritt, um Erfahrungen zu sammeln und eventuell Anpassungen vorzunehmen. Vonlanthen wehrte sich auch dagegen, dass die neue Kantonsverfassung abgewartet wird, um ein neues Gesetz zu redigieren, wie dies der Verfassungsrat gewünscht hatte.
Nicht auf Fall Aliesch eingegangen
Beat Vonlanthen hat sich nach der Affäre um den Bündner Regierungsrat Peter Aliesch auch Gedanken gemacht, ob im neuen Gesetz eine Absetzung eines Staatsrates vorgesehen werden sollte. Weil dies einer Nicht-Respektierung des Volkswillens gleichkäme, ist er aber rasch zur Auffassung gelangt, dass diese Frage in der Verfassung geklärt werden müsse. «Der Verfassungsrat muss über diese Frage nachdenken», sagte er.
Ein «konservatives» Gesetz
Hart ins Gericht mit dem Entwurf ging der SP-Sprecher Louis-Marc Perroud. Er sprach von einem Gesetz, das von einem fast erschreckenden Konservatismus geprägt sei, ein flügellahmes und ideenloses Gesetz. «Ich möchte bei einem solchen Gesetz nicht Staatsrat sein», hielt er fest.
Er hätte sich mehr Transparenz gewünscht und dachte dabei besonders an ein «offenes» Kollegialitätsprinzip, so dass die Meinungen der Staatsräte nach aussen dringen können. Er konnte sich gar vorstellen, dass die Staatsratssitzungen bei wichtigen Geschäften öffentlich sind.
Seine Parteikollegin Antoinette Romanens stellte den Antrag, dass bei schwer wiegenden Meinungsverschiedenheiten ein oder mehrere Mitglieder des Staatsrates seine oder ihre Meinung öffentlich kund tun darf respektive dürfen. So weit wollte jedoch der Grosse Rat nicht gehen. Staatsratspräsident Claude Grandjean wollte der Polemik nicht Tür und Tor öffnen. Und Beat Vonlanthen wollte vermeiden, dass es zu einem «Hühnerstall und Hühnerhaufen kommt, wie er schon im Grossen Rat besteht». Erstmals ein Kollegialitätsprinzip
Mit 59 zu 19 Stimmen und neun Enthaltungen wurde der Antrag abgelehnt. Somit wird das Kollegialprinzip wie folgt im Gesetz verankert: «Die Mitglieder des Staatsrates müssen die Beschlüsse des Kollegiums mittragen; ist ein Mitglied mit einem Beschluss nicht einverstanden, so muss es zumindest davon absehen, diesen in Frage zu stellen.» Es handelt sich somit um die erste gesetzliche Definition des Kollegialitätsprinzips, denn das alte Gesetz hat diese Frage nicht behandelt.
Keine persönlichen Berater
Die Staatsrätinnen und Staatsräte des Kantons Freiburg werden auch künftig nicht vollamtliche persönliche Berater anstellen können, wie dies Perroud auch gewünscht hätte. Hingegen steht ihnen neu ein Kredit von einigen Tausend Franken zur Verfügung, damit sie eine Unterstützung ausserhalb der Verwaltung anfordern können, z.B. für besondere Recherchen, Abfassen von Reden usw.
Für Dezentralisierung
der Kantonsverwaltung
Der Grosse Rat hat hingegen einen Antrag von Michel Buchmann (CVP, Romont) angenommen, welcher den Staatsrat verpflichtet, bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine Dezentralisierung der Kantonsverwaltung ins Auge zu fassen. Er gab zu bedenken, dass sich über 73 Prozent der kantonalen Gebäude in der Stadt Freiburg befinden.
Gut die Hälfte der Gesetzesartikel konnte der Grosse Rat am Freitag in erster Lesung behandeln. Diese wird am Dienstagabend, 2. Oktober, fortgesetzt.
Machtkampf ging an Staatsrat
Der Staatsrat muss für jede Legislaturperiode ein Regierungsprogramm und einen Finanzplan erstellen. Der Grosse Rat kann aber davon nur Kenntnis nehmen, ohne diese zu genehmigen.
Die Frage, ob das Regierungsprogramm und der dazugehörige Finanzplan vom Grossen Rat genehmigt werden müssen oder nicht, stand gestern im Mittelpunkt der Debatte, als die erste Lesung des Gesetzes über die Organisation des Staatsrates und der Verwaltung in Angriff genommen wurde. Am Ende einer langen Debatte entschied sich der Rat mit 55 zu 44 Stimmen zu Gunsten des Staatsrates. Eine Genehmigung durch den Grossen Rat wollte die parlamentarische Kommission neu im Gesetz verankern. «Die Planung ist wichtig. Bei einem Regierungsprogramm handelt es sich nicht bloss um ein Aufzählen von Zielen, die nicht immer der Realität entsprechen», hielt deren Präsident Beat Vonlanthen fest und wollte dem Parlament mehr Kompetenzen geben. Er gab sich dabei überzeugt, dass der Grosse Rat so vermehrt auf die mittelfristige Entwicklung des Kantons Einfluss nehmen und nicht bloss punktuell intervenieren kann, wie dies mit Motionen usw. möglich ist. Nach seinen Worten sollte ein Regierungsprogramm verabschiedet werden können, das seine Gültigkeit über die ganze Legislaturperiode hat, das aber auch angepasst (rollende Planung) werden kann.
Nicht nur Wunschträume
formulieren
Auch CSP-Sprecher Michel Monney sprach sich für ein realistisches Programm aus, das der Staatsrat und der Grosse Rat im Konsens verabschieden. «Das Regierungsprogramm soll nicht bloss Wunschtraum sein», meinte er. «So ist es besser möglich, Prioritäten zu setzen», fügte er bei. Laut Monney ist dies auch im Hinblick auf die Leistungsaufträge wichtig, welche der Staatsrat künftig mit seinen Dienststellen abschliesst und die ausser Kontrolle geraten könnten.
Laut Pierre-Alain Sydler (SP, Kerzers) sollten Exekutive und Legislative gemeinsam sagen, «wohin sie gehen wollen». Richard Ballamann (SP, Corminboeuf) sprach von einem «Legislatur-Vertrag», und gemäss Claudia Cotting (FDP, Senèdes) sollte das gemeinsame Programm als «roter Faden» dienen.
«Regierung nicht paralysieren»
Vehement wehrte sich Staatsratspräsident Claude Grandjean gegen eine Genehmigung durch den Grossen Rat. «Das Regierungsprogramm ist eine Absichtserklärung», hielt er fest und wollte nicht, dass der Staatsrat allzu fest an dieses Programm gebunden wird. «Der Staatsrat wird so paralysiert», gab er zu bedenken. «Während einer Legislaturperiode kann sich vieles ändern», fuhr er fort und wies darauf hin, dass der Grosse Rat jeweils bei der Budgetdebatte sein Wort zu sagen hat. Für ihn ist es auch eine Frage der Gewaltentrennung.
«Das Regierungsprogramm ist ein Programm des Staatsrates. Er muss sich für dieses einsetzen. Und das Volk wird den Staatsrat nach fünf Jahren am Erreichten messen», stellte sich FDP-Sprecher Claude Masset hinter die Regierung. Auch der CVP-Sprecher Georges Emery wollte den Handlungsspielraum des Staatsrates nicht einschränken.
Antoinette Romanens machte als Sprecherin einer kleinen SP-Mehrheit deutlich, dass es sich hier um ein Gesetz des Staatsrates handle. «Es ist nicht am Grossen Rat, sich Kompetenzen zu beschaffen.» Pierre-Alain Clément (SP, Freiburg) rief in Erinnerung, dass der Gemeinderat der Stadt Freiburg seinem Generalrat auch einmal ein Regierungsprogramm zur Genehmigung unterbreitet habe, als er sich nicht einigen konnte. «Keines der Projekte, die darauf figurierten, ist heute realisiert», gab er zu bedenken und dachte dabei an die Poya-Brücke, das Theater usw. az
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