Kanton

Samstag 26. Januar 2002, Kanton


Erweiterter Grundrechtskatalog
Lebhafte Debatte über Eckpfeiler der künftigen Staatsverfassung
Im kantonalen Grundgesetz soll ein Recht auf Information festgeschrieben werden. Damit wird ein neues Grundrecht vorgeschlagen, das es auf Bundesebene nicht gibt. Der Verfassungsrat hat sich am Freitag ebenfalls für ein Recht, in Würde zu sterben, ausgesprochen.
Von WALTER BUCHS
Der Verfassungsrat hat an seinem dritten und letzten Tag der Januar-Session ein gutes Dutzend Grundrechte zu Gunsten der Bürgerinnen und Bürger behandelt. Die Kommission 2 unter dem Präsidium von Adolphe Gremaud, (Öffnung), Freiburg, hatte sich bei der Erarbeitung der Thesen weitgehend auf die Bundesverfassung und zum Teil auf die Grundgesetze der Kantone Bern und Neuenburg abgestützt, die beide neueren Datums sind.
Klare Trennung in zwei Blöcke
Bei den Beratungen haben insbesondere vier Themen zu teilweise heftigen Diskussionen geführt: das Eigentums- und Streikrecht, die Verantwortung der Wissenschaftler für die Integrität der Lebewesen und für deren Lebensgrundlagen sowie die Frage, ob ein Recht, in Würde zu sterben, in die künftige Verfassung aufgenomen werden soll, und welches dessen Inhalt und Bedeutung sein könnte. Meistens ergab sich dabei eine klare und ziemlich ausgeglichene Trennung zwischen dem Bürgerblock einerseits sowie SP, CSP und «Öffnung» andererseits.
Der Antrag, mit der Einführung eines Rechts auf Information nach dem Vorbild der Neuenburger Verfassung Neuland zu beschreiten, war allerdings völlig unbestritten. Dieses deckt sich zudem mit den Forderungen nach Transparenz und dem Öffentlichkeitsprinzip, wie es andere Kommissionen verlangt haben. In Ergänzung dazu schlägt der Verfassungsrat ebenfalls ein Recht auf Medienfreiheit, welche das Redaktionsgeheimnis gewährleistet, sowie ein Verbot der Zensur vor.
Streikrecht - Welche Ausgestaltung?
Die Koalitions- und Streikfreiheit, wie sie die Kommission vorschlug, war in ihrem Grundsatz nicht bestritten. Hingegen stiess die Formulierung, dass das Streikrecht, namentlich um minimale öffentliche Dienste zu gewährleisten, von Gesetzes wegen beschränkt werden kann, auf Widerstand bei einer Kommissionsminderheit. Nach ihrer Meinung sollten Streitigkeiten nach Möglichkeit durch Verhandlung oder Vermittlung beigelegt werden. Eine Einschränkung solle im erwähnten Sinne nicht in einem Gesetz, sondern allenfalls durch Gesamtarbeitsverträge vorgesehen werden. Dadurch werden dem Dialog und der Solidarität unter den Sozialpartnern im Hinblick auf die Bewahrung des Arbeitsfriedens eine hohe Priorität eingeräumt. Trotzdem unterlag der Antrag der Minderheit mit 66:48 Stimmen bei vier Enthaltungen. Vorgängig wurde die These zur Wirtschaftsfreiheit diskussionslos überwiesen.
Beim Grundrecht «Eigentumsgarantie» sah die Kommission eine Bestimmung vor, nach der «Kanton und Gemeinden günstige Voraussetzungen für eine breite Verteilung von privatem Grundbesitz bilden, im Wesentlichen, damit dieser vom Besitzer genutzt wird». Die FDP-Fraktion schlug vor, die explizite Erwähnung der Selbstnutzung durch den Eigentümer zu streichen. Obwohl sich Ambros Lüthi und Patrik Gruber für eine bessere Verteilung des Eigentums und die Förderung der Selbstnutzung stark machten, wurde der Antrag der Freisinnigen mit 59:56 und zwei Enthaltungen angenommen.
Hingegen unterlag die FDP-Fraktion mit 59:57 Stimmen und vier Enthaltungen mit ihrem Änderungsantrag betreffend die Formulierung der These zur Freiheit der Lehre und Forschung. Gemäss dem vom Plenum überwiesenen Vorschlag «übernehmen Personen, die wissenschaftlich oder in Forschung und Lehre tätig sind, Verantwortung gegenüber der Integrität des Lebens der Menschen, der Tiere, der Pflanzen und ihrer Lebensgrundlagen.
«Ein Lebensende in Würde»
Bei der Formulierung eines «Rechts auf ein Lebensende in Würde» schlug die Kommission folgende Formulierung vor: «Jede verletzliche, abhängige, behinderte oder dem Tode nahe stehende Person hat Anspruch auf besondere Aufmerksamkeit. Jede Person hat das Recht, in Würde zu sterben.» Während der erste Satz zu keiner Diskussion Anlass gab, schlug Annelise Meyer (FDP), Villars-sur-Glâne, vor, den zweiten Satz zu streichen, weil er zu vage ist und kaum Einfluss auf die Praxis haben werde. Nach einer zum Teil aufschlussreichen Debatte entschied sich dann das Plenum mit 57:51 Stimmen und acht Enthaltungen, den erwähnten Satz als These zu belassen. Damit soll namentlich sichergestellt werden, dass diese wichtige Frage in der Vernehmlassung diskutiert wird.
Vorgängig hatte sich Daniel de Roche im Namen der CVP-Fraktion sehr erstaunt über diese Formulierung gezeigt. In persönlichen Überlegungen als Pfarrer stellte er anschliessend fest, dass wir das Leben geschenkt erhalten und es eines Tages wieder zurückgeben müssen. Sterben sei kein Recht, sondern ein natürlicher Vorgang, der meistens mit Leiden verbunden ist. Wenn man künstliche Lebensverlängerung verhindern wolle und stattdessen dem Einzelnen den freien Entscheid überlasse, werde dieser überfordert. Er brauche vielmehr Hilfe, den Dialog mit der nächsten Umgebung. Dies zeige, dass man mit Rechten sehr sorgfältig umgehen müsse.
Schliesslich hat der Verfassungsrat noch drei Thesen überwiesen, welche die medizinische Grundversorgung sowie die Unterstützung in Notlagen betreffen.
Fortsetzung im Februar
Der Verfassungsrat hat am Freitagmittag die erste von sechs für das laufende Jahr geplanten Sessionen abgeschlossen. Er wird die Beratungen über die von den Kommissionen vorgeschlagenen Thesen vom 20. bis 22. Februar fortsetzen.
Dabei wird er zuerst den Bericht der Kommission 2 (Sozialrechte und -ziele) zu Ende beraten. Der 21. Februar wird dann der Diskussion der von der Kommission 3 erarbeiteten Vorschlägen zum Thema «Staatsaufgaben» gewidmet sein. Anschliessend wird das Plenum noch die Thesen «politische Rechte» in Angriff nehmen.
Gemäss Plan sollten bis Ende Mai die Berichte aller acht Kommissionen durchberaten sein. Ist dies nicht der Fall, sind im Juni Reservetage vorgesehen. In der zweiten Jahreshälfte werden die Thesen dann in eine öffentliche Vernehmlassung geschickt. wb

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