Kanton

Mittwoch 24. April 2002, Kanton


«Wie man sich ausdrückt, ist man»
Konferenzdolmetscher Sulpice Piller übersetzt im Verfassungsrat zweisprachig
Die Sitzungen des Verfassungsrats werden simultan übersetzt, damit alle Anwesenden den Debatten folgen können. Dabei ist das Engagement und Talent von Konferenzdolmetscher Sulpice Piller gefragt.
Von CHRISTIAN SCHMUTZ
Man wolle allen Mitgliedern des Verfassungsrats möglichst die gleichen Chancen geben, um sich an den Beratungen beteiligen zu können. So lautete der Tenor in der Septembersession 2000, als sich der Verfassungsrat mit 84 zu 25 Stimmen für eine Simultanübersetzung in den Plenarsitzungen entschied.
Ein gutes Jahr später stand mit dem Freiburger Sulpice Piller erstmals ein Übersetzer den 130 Verfassungsrätinnen und -räten zur Seite. Manch eine und manch einer mussten sich daran gewöhnen, dass er bei jeder Wortmeldung daneben stand und wie ein Papagei alles nachplapperte. Nur eben - wenn die Räte Deutsch sprachen, sprach er Französisch; wenn sie Französisch sprachen, sprach er Deutsch. Und viele staunen über die Schnelligkeit und die Qualität der Sprache.
«Liebe zur Sprache»
«Der Akt des Dolmetschens ist einerseits eine Fähigkeit, andererseits auch einfach die Liebe zur Sprache», sagt Piller. Für ihn sei die Übersetzerschule dann eine Perfektionierung gewesen. Aber richtig bewähren müsse man sich in der Praxis. Er weiss auch, dass zum Lernen und Können von Sprachen auch die Poesie der Sprache, ihr Kontext und die ganze Kultur der Sprechenden gehört. Aber er ist zweisprachig - ohne Wenn und Aber (s. Kasten).
Piller war auch als Journalist tätig und er sieht viele Querverbindungen zwischen dem sorgfältigen schriftlichen und mündlichen Ausdruck. «Schriftliche Übersetzungen sind oft sprachlich nicht falsch, aber wenn man nicht höllisch aufpasst, passen sie nicht in die andere Sprache», sagt Piller und er folgert: «Nicht jeder Redaktor ist ein guter Übersetzer. Aber ein guter Übersetzer muss ein guter Redaktor sein.» Leider sei die Sprache heute «vertechnokratisiert».
Keine Eins-zu-eins-Übersetzung
So versucht er nicht die Wortmeldungen der Verfassungsräte wörtlich wiederzugeben, sondern in eine neue Form zu giessen. Denn Bedeutung und Ausdruck eines Worts seien nicht einfach trennbar, ohne dass es eine «Häb-Chläb-Übersetzung» gebe.
«Wie man sich ausdrückt, ist man auch», sagt Piller. Aber er wolle nicht gewisse Plumpheiten eins zu eins wiedergeben. Sein oberstes Gebot sei Klarheit und eine gewisse Sauberkeit - «mit allen Risiken und Nebenwirkungen». Er ist aber überzeugt: «Wenn die Übersetzung gut ist, verzeiht man das eine oder andere Wort, das nicht genau wörtlich übersetzt ist.»
Er habe bei den dreitägigen Versammlungen im Grossratssaal auch einen grossen Vorteil: «Das Umhergehen ist regenerierend. Sitzen wäre viel stressiger.»
Sprachen nach Lebensrhythmus entwickeln lassen
Da fragt man sich, wie ein Freiburger, der mit seiner Zweisprachigkeit Geld verdient, die Sprachsituation im Üechtland wahrnimmt. Seine deutsche Identität sei eher eine walliserische, sagt Sulpice Piller. Deshalb sei er wohl nicht so militant. Er holt aber doch aus: «Man sollte keinen falschen Bilinguismus aufzwingen und den Freiburgern eine zweisprachige Identität aufschwatzen, die viele im Prinzip nie gehabt haben», sagt Piller. Er sei für einen pragmatischen Ansatz. Sprachen sollten sich nach dem Lebensrhythmus entwickeln und nicht aufgezwungen werden.
Sulpice Piller habe zum Beispiel die Stadt Freiburg immer als Welsch wahrgenommen. Es sei ihm immer klar gewesen, dass Deutsch die zweite Geige spiele. Obwohl die Sensler in ihrer Denkweise in den letzten Jahren «deutschschweizerischer» geworden seien, seien aber die Gemeinsamkeiten zwischen Welsch- und Deutschfreiburgern immer noch zu gross, um von einem Graben zu sprechen. Es sei komisch, dass sich Deutsch- und Französischsprachige in den Diskussionen oft auf ihren subjektiv wahrgenommenen, extremen Positionen versteifen würden. Er selbst habe sich nie auch nur ansatzweise unter Druck gesetzt gefühlt. Aber es sei ihm schon bewusst, dass so fast nur Deutschsprachige in der Stadt Freiburg eine echte Chance bekämen, in beiden Sprachen und so in beiden Kulturen richtig daheim zu sein.
Die ideale Situation wäre laut Piller, wenn aus realen Problemen nicht übermässige Probleme gemacht würden, «wenn gewisse Diskussionen gar nicht existieren würden». Viele Diskussionen seien nämlich für den «Otto Normalverbraucher» gar kein Problem.
Zwei Muttersprachen
Er könne heute nicht mehr sagen, welches seine Muttersprache sei, sagt Sulpice Piller. Der Sohn eines deutschsprachigen Freiburger Vaters und einer zweisprachigen Walliser Mutter hat vom Kindergarten bis zur Uni alle Schulen in Freiburg besucht - auf Deutsch. Heute hat der 43-Jährige beruflich vor allem mit Romands zu tun.
Nach seinem Studium der Geschichte und Journalistik hat Piller als Journalist gearbeitet und führt nun seit drei Jahren eine eigene Firma als «Konferenzdolmetscher» in Bern. Seine Arbeit bestehe zu 90 Prozent aus der Bi-Kulturalität zwischen Deutsch und Französisch. Er übersetze hin und zurück. Deshalb seien vor allem Bundesämter und Hochschulverbände seine Kunden.
Östlich von Bern werde Englisch oder auch Italienisch bei den Übersetzern immer beliebter. Das sei für ihn persönlich eine gute Chance, sagt Piller. Bern sei für die Dolmetscherei ein grosser Kuchen und so ideal. Er komme aber gern und regelmässig wieder nach Freiburg. 
chs

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