Kanton

Samstag 25. Mai 2002, Kanton


Wichtige Rolle der Kirchen anerkannt
Mehrheit des Verfassungsrats ist gegen Trennung des Staates und der religiösen Gemeinschaften
Auch in der künftigen Freiburger Verfassung soll der Beitrag der Kirchen im Staat ausdrücklich anerkannt werden. Mit klarem Mehr hat der Verfassungsrat einen FDP-Antrag zur Trennung abgelehnt. Dieser wurde ebenfalls von der SP unterstützt. Die Frage der Kirchensteuer ist im Gesetz zu regeln.
Von WALTER BUCHS
Für die Sachbereichskommission des Verfassungsrats, welche Vorschläge betreffend die Beziehungen des Staates mit den religiösen Gemeinschaften, Vereinen und politischen Parteien auszuarbeiten hatte, war klar, dass den Kirchen in der Gesellschaft eine wichtige Rolle zukommt. Sie schlug deshalb in einer These vor, dies auch in der neuen Staatsverfassung ausdrücklich anzuerkennen.
Kommission für Status quo
Demzufolge sprach sich die Mehrheit der Kommission unter dem Präsidium von Marie Garnier (Offene Liste, Freiburg) für die Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes aus. Die religiösen Gemeinschaften können sich frei organisieren, der römisch-katholischen und der evangelisch-reformierten Kirchen wird der öffentlich-rechtliche Status zuerkannt. Die anerkannten Kirchen sind im Rahmen des Gesetzes autonom. Dies entspricht der heutigen Situation.
Dass Staat und Kirche einander brauchen, unterstrich Daniel de Roche (CVP/EVP, Guschelmuth) am Freitagmorgen bei der Beratung im Plenum. «Der Staat kann nicht alle Werte setzen, die für das Überleben wichtig sind», betonte er. «Die Kirche gibt Antwort auf den Sinn des Lebens - und es gibt kein sinnloses Leben.» Für Daniel de Roche ist es daher wichtig, dass die Verfassung sich in positivem Sinne zu dieser Rolle äussert.
In einem von der FDP eingereichten Antrag hiess es hingegen: «Der Staat ist von den Kirchen und anderen religiösen Gemeinschaften getrennt. Er kann sie jedoch als gemeinnützige Gemeinschaften anerkennen und mit ihnen Konkordate abschliessen.» Gemäss diesem Vorschlag wäre die Unabhängigkeit der Kirchen garantiert und die Öffentlichkeit könnte sich an den Diensten, welche die Kirchen für die Gesellschaft leisten, finanziell beteiligen. Gemäss FDP-Sprecher Frédéric Sudan wäre es an der Zeit, eine klare Trennung zu verwirklichen und so die Gleichbehandlung aller religiösen Gemeinschaften sicherzustellen.
Dieser Vorschlag wurde namentlich von der SP und der Mehrheit der Fraktion «Offene Liste» unterstützt. Nach Meinung von Michel Bavaud (Offene Liste) hat die Verbindung Staat - Kirche Schiffbruch erlitten. Er riet den anerkannten Kirchen, auf das Privileg des öffentlich-rechtlichen Status zu verzichten. SP-Sprecher Christian Levrat fand, dass der FDP-Vorschlag ausgewogen ist. Auch bei einer Trennung könnten die Kirchen für ihre gemeinnützige Rolle entschädigt werden. CSP-Verfassungsrat Noël Ruffieux, der auch Vorsteher der griechisch-orthodoxen Kirche in Freiburg ist, stellte fest, dass die Meinungen in der Frage sehr auseinander gehen. Er wünschte sich, dass die Kirchen dieses Zeichen erkennen und dass sich bei ihnen auch etwas bewegt.
Kein Bruch mit der Tradition
CVP-Sprecher Claude Schenker wies darauf hin, dass das heutige System, wie die Beziehungen Staat - Kirchen im Kanton Freiburg geregelt werden, noch sehr jung ist. Es handle sich um eine zufrieden stellende und moderne Lösung, die sogar von anderen Kantonen kopiert werde. Daniel de Roche ergänzte, dass der FDP-Vorschlag keineswegs moderat sei, wie behauptet werde. Zudem sei er für die öffentlich-rechtliche Anerkennung seiner Kirche im Kanton sehr dankbar. Alt Staatsrat Félicien Morel gab zu bedenken, dass es im Staat verschiedene Errungenschaften zu Gunsten gesellschaftlich relevanter Gruppen gebe. Dazu gehörten auch die Beziehungen Kirche - Staat und niemand stelle diese wirklich in Frage.
Nachdem sich unter anderen auch Josef Binz (SVP, St. Antoni) und Hermann Boschung (CSP, Schmitten) für den Status quo stark gemacht hatten, lehnte das Plenum den Trennungsantrag zu Gunsten der Kommissionsvorschläge mit 64:50 Stimmen bei 5 Enthaltungen ab. Vorgängig waren bereits verschiedene Minderheitsanträge gescheitert.
Im Grundsatz für Kirchensteuer
Auf Vorschlag der Kommission beschloss das Plenum anschliessend, dass die Erhebung von Kirchensteuern durch das Gesetz zu regeln ist. Dieses soll die Kirchensteuer allerdings auch durch eine Mandatssteuer ersetzen können. Weiter gehende Vorschläge, wie Bezahlung der Pfarreisteuer auf freiwilliger Basis, die Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen oder eine bestimmte Zweckbestimmung derselben wurden abgelehnt.


Die «Null»-Lesung ist abgeschlossen
Während den letzten fünf Monaten hat der Verfassungsrat fünf Sessionen abgehalten, die jeweils drei Tage dauerten. Dabei hat er die Thesen beraten, welche die acht Kommissionen in ihren Schlussberichten formuliert hatten.
Gestern Mittag hat er diese Arbeit abgeschlossen. Präsidentin Katharina Hürlimann, Kerzers, bedankte sich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die wertvolle Unterstützung. Den grössten Applaus erhielt dabei Sulpice Piller für seine «exzellente Übersetzungsarbeit», wie sich die Präsidentin ausdrückte.
Aufgrund der Ergebnisse der abgeschlossenen «Null»-Lesung werden jetzt die beiden juristischen Berater des Verfassungsrates einen ersten Vorentwurf ausarbeiten. Im Oktober geht dieser an die Redaktionskommission und im November/Dezember wird er von den Kommissionen beraten. Ab Januar 2003 ist die 1. Lesung vorgesehen. Bis dahin wird der Verfassungsrat somit keine Plenarsitzung mehr abhalten. wb

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