Kanton

Samstag 28. Dezember 2002, Kanton


Staatsstreich ist nicht zu befürchten
Die Eckpfeiler der künftigen Kantonsverfassung stehen
In der ersten Hälfte des Jahres 2002 hat der Verfassungsrat die ersten Weichen für die neue Verfassung des Kantons Freiburg gestellt. Bei den Grundrechten zeigte sich das 130-köpfige Gremium am innovationsfreudigsten, bei strukturellen Neuerungen war es eher zaghaft.
Von WALTER BUCHS
Seit rund zwei Jahren ist eine Verfassung gebende Behörde im Kanton Freiburg daran, das geltende Grundgesetz von 1857, das seither zahlreiche Änderungen erfahren hat, in eine zeitgemässe Form zu bringen. Bis Ende 2001 hatten acht Sachbereichskommissionen verschiedene Themen bearbeitet. An je drei Tagen in den Monaten Januar bis Mai hat der Verfassungsrat nun diese Berichte im Plenum beraten und dabei insgesamt 391 Thesen verabschiedet.
Meilenstein in der Sprachenfrage
In der Januarsession ging es um Grundsätze, Staatsziele und Grundrechte. Besonders interessierte dabei die Sprachenfrage. Dabei gelang es dem Verfassungsrat trotz einigen Misstönen zur Zusammensetzung der entsprechenden Arbeitsgruppe, die in den letzten Jahren festgestellte Blockierung in der Sprachenfrage etwas zu lockern.
In den verabschiedeten Thesen heisst es unter anderem, dass die Zweisprachigkeit ein Bestandteil der Identität des Kantons ist und eine Bereicherung bedeutet. Das Grundrecht der Sprachenfreiheit, wie es die neue Bundesverfassung festschreibt, soll richtungweisend sein. Das Territorialitätsprinzip soll sich, ohne aufgehoben zu werden, dem unterordnen.
An der Sprachgrenze soll es demzufolge offiziell anerkannte gemischtsprachige Gemeinden geben, in denen Kinder bei der Einschulung die Wahl haben, sich deutsch oder französisch einschulen zu lassen. Trotz Gegenwehr von verschiedener Seite hatte sich die Kommission unter der Leitung von Bernadette Hänni Fischer, Murten, praktisch auf der ganzen Linie durchgesetzt.
Im Vergleich zur Bundesverfassung soll der Kanton Freiburg einen erweiterten Grundrechtskatalog erhalten. So verabschiedete der Verfassungsrat nach zum Teil hoch stehenden Diskussionen ein Recht auf Information und ein Recht, «in Würde zu sterben», Letzteres namentlich mit dem Ziel, dass die wesentliche Frage in der Vernehmlassung auch öffentlich eingehend diskutiert wird. Als Sozialziel möchte er in der künftigen Staatsverfassung das Recht auf einen Mindestlohn verankern. Dabei wäre dessen Höhe auf Gesetzesstufe festzuschreiben. Auch die Mutterschaftsversicherung solle auf kantonaler Ebene eine Verfassungsgrundlage erhalten.
In Fragen der Grundhaltung der Schule entschied sich das Gremium dann aber für eine These, wonach diese «politisch und konfessionell neutral» sein solle. Ein Bezug auf den «christlichen Humanismus», wie ihn die CVP-Fraktion wollte, wurde knapp abgelehnt. Abgeblockt hat der Verfassungsrat ebenfalls verschiedene Bestrebungen, gewisse öffentliche Aufgaben zu kantonalisieren. Dies betraf die Bereiche Schule, Sozialhilfe und Gesundheitswesen. Auch in anderen Bereichen möchte er, dass die Gemeinden auch künftig über eine gewisse Autonomie verfügen. Ein zentrales Anliegen des Verfassungsrats ist ebenfalls der «service public», namentlich eine «genügende Wasser- und Energieversorgung».
Die Mitglieder des Verfassungsrates sind in den Monaten Januar und Februar mit viel Elan und Einsatzfreude in die Diskussionen über die von den Kommissionen vorgeschlagenen Thesen eingestiegen. Einerseits haben sie sich dabei einen Rückstand auf den Zeitplan eingehandelt. Andererseits zeigte es sich auch, dass viele Fragen bereits so eingehend besprochen worden waren, dass dies mit einer künftigen Verfassung wenig bis nichts mehr zu tun hatte.
Verschiedene Kreise im Gremium versuchten dann die Notbremse zu ziehen, was allerdings nicht von allen goutiert wurde. Dennoch konnte man in den Sessionen März, April und Mai feststellen, dass immer wieder der Versuch unternommen wurde, den Thesenkatalog und damit auch die künftige Verfassung möglichst von unnötigem Balast zu befreien.
Nach langwierigem Geplänkel unter den Fraktionen wurde auch in Sachen Vernehmlassung eine Straffung erreicht. Ursprünglich war vorgesehen, die rund 400 Thesen von Juli bis Oktober in eine öffentliche Vernehmlassung zu schicken. Schliesslich wurde dann aber beschlossen, zuerst einen Vorentwurf für eine Verfassung ausarbeiten zu lassen, was bereits geschehen ist, diesen dann im Plenum zu beraten, was ab Januar 2003 erfolgen wird, und erst nachher eine Vernehmlassung durchzuführen.
Für stabile Strukturen
Wenig innovationsfreudig zeigte sich der Verfassungsrat im vergangenen Frühling, was territoriale und strukturelle Veränderungen anbelangt. So sprach er sich entgegen dem Antrag seiner Kommissionen gegen die Auflösung der Bezirke und die Verkleinerung des Grossen Rates aus. Er lehnte auch die Einführung der kommunalen Volksmotion und des konstruktiven Referendums ab. Er stärkte hingegen in gewissen Punkten die Rolle des Kantonsparlaments, indem er diesem mehr Rechte zubilligen will.
Zu einem Eklat kam es dann Ende Mai bei der Beratung der Thesen über die Richterwahlen. Nachdem das Gremium nicht bereit war, die entsprechenden Thesen an die Kommission zurückzuweisen, verliess die SP-Fraktion während diesen Beratungen den Saal, worauf alle Vorschläge der Kommissionsmehrheit durchkamen. Im Rahmen der Beratungen des in der Zwischenzeit erstelltenVerfassungsvorentwurfs durch die Kommissionen hat sich nun in dieser Frage kürzlich ein Kompromiss abgezeichnet, wie die zuständige Arbeitsgruppe vor zehn Tagen mitteilte. Entsprechende Vorschläge würden dem Plenum unterbreitet werden. Dieses wird sich in der zweiten Januarhälfte 2003 erstmals mit dem von den Kommissionen in den letzten Wochen bereits durchbesprochenen Vorentwurf befassen. Letzterer wird anfangs Januar veröffentlicht.

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