Kanton |
Samstag 11. Januar 2003, Kanton Entwurf der Staatsverfassung vorgestellt
Die nahezu 400 Thesen wurden in 160 Artikeln zusammengefasst
Rund zwei Jahre, nachdem die Sachbereichskommissionen des Verfassungsrates ihre Arbeit aufgenommen haben, liegt ein Vorentwurf für ein neues kantonales Grundgesetz vor. Im laufenden Jahre tritt die Beratung darüber nun in eine entscheidende Phase. Nach der ersteLesung durch das Plenum findet Mitte Jahr die öffentliche Vernehmlassung und Ende 2003 die zweite Lesung statt.
Von WALTER BUCHS
In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres hat der Verfassungsrat die rund 400 Thesen beraten und verabschiedet, welche die Kommissionen im Jahr zuvor ausgearbeitet haben. Auf der Grundlage der Thesen haben die beiden juristischen Berater unter Mithilfe des Experten Marco Borghi, Professor für Staatsrecht an der Universität Freiburg, bis im Oktober einen Vorentwurf eines Verfassungstextes ausgearbeitet.
In der Zwischenzeit hat die Redaktionskommission unter der Leitung von Antoinette de Weck (FDP, Freiburg) den Entwurf in beiden Sprachen aus sprachlicher und formaler Sicht bearbeitet. In den vergangenen beiden Monaten haben die Sachbereichskommissionen den Text beraten und bereits zahlreiche Änderungsanträge formuliert. Bevor das Plenum nun in zehn Tagen die Beratung über den Vorentwurf aufnehmen wird, hat ihn das Präsidium am Freitag den Medien vorgestellt.
Komplexe Aufgabe
«Es war eine komplexe Arbeit, einen Verfassungstext gleichzeitig in zwei Sprachen zu erarbeiten.» Dies stellte Monika Bürge-Leu (CVP, Wünnewil) gestern an der Presseorientierung fest. Es sei, namentlich auch angesichts des «ehrgeizigen Zeitplans» eine grosse Herausforderung gewesen, die sprachlichen Eigenheiten zu wahren und gleichzeitig in beiden Sprachen prägnant und verständlich zu formulieren. Monika Bürge-Leu hat die deutschsprachige Gruppe der Redaktionskommission geleitet.
Christian Levrat (SP, Pringy), der den Verfassungsrat im laufenden Jahr turnusgemäss präsidiert, räumte ein, dass der Vorentwurf keine Revolution darstelle. Trotzdem dürfte festgestellt werden, dass der Verfassungsrat seine Innovations-Kapazität unter Beweis gestellt habe, indem er namentlich zeitgemässe Grundsätze und Grundrechte sowie eine Öffnung des Kantons auf andere Regionen vorschlage.
Wesentliche Neuerungen
Auffallend ist, dass die Liste der Grund- und politischen Rechte verhältnismässig lang ist. Als Neuigkeiten, die besonders hervorzuheben sind, nannte Christian Levrat am Freitag unter anderem die Gleichstellung von Frau und Mann, die Mutterschaftsversicherung, den Schutz der körperlichen und geistigen Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen, die verbesserte Integration der Ausländer und die Einführung der Volksmotion.
Bei den Staatsaufgaben wies der Verfassungsratspräsident namentlich auf die Verpflichtung des Kantons zu einer dynamischen Familienpolitik und einer breiten Umweltpolitik sowie auf die Kantonalisierung des Spitalwesens hin. Bei den institutionellen Neuerungen sind ihm die Beschränkung der Ämterkumulation, die Aufwertung der Rolle des Grossen Rates sowie der Wille, die Stellung der Gemeinden zu stärken, wichtig. Schliesslich wies er darauf hin, dass der Verfassungsentwurf Kanton und Gemeinden ausdrücklich verpflichtet, das staatsbürgerliche Bewusstsein zu fördern. Die Präsidentin des Jahres 2001, Rose-Marie Ducrot (CVP, Châtel-Saint-Denis) ergänzte, dass der Verfassungsrat seine Arbeit in völliger Unabhängigkeit habe verrichten können. Kein anderes politisches Organ habe sich eingemischt.
Positive Bilanz 2002
Die Präsidentin des Jahres 2002, Katharina Hürlimann (FDP, Kerzers) zog eine positive Bilanz des vergangenen Jahres. Beim Beginn der so genannten Null-Lesung vor einem Jahr habe sich der Verfassungsrat in ein Abenteuer eingelassen. Viele seien skeptisch gewesen, ob die vorgesehene Zeit reichen werde. Zudem hatten die meisten Ratsmitglieder noch keine parlamentarische Erfahrung. Sie sei glücklich festzustellen, dass Ende Mai das anvisierte Ziel erreicht worden sei.
Heute könne man feststellen, so Katharina Hürlimann weiter, dass es richtig war, dass der Rat zuerst Thesen beraten habe und nicht sofort auf einen vorbereiteten Verfassungsentwurf eingestiegen sei. Dies habe eine breitere Sicht erlaubt und die Diskussion musste nicht bereits zu Beginn eingeschränkt werden. Es sei dem Willen aller Beteiligten zu verdanken, dass der Zeitplan dennoch eingehalten werden konnte. Sie sei deshalb zuversichtlich, dass dies auch in der verbleibenden Zeit so sein werde.
Aufbau und Zeitplan
Der soeben veröffentlichte Vorentwurf der neuen Staatsverfassung ist übersichtlich gestaltet sowie knapp und nüchtern formuliert. Ohne die Präambel und die Übergangs- und Schlussbestimmungen enthält er 159 Artikel. Diese sind in sechs Titel unterteilt: 1. Titel: Allgemeine Bestimmungen (u. a. Staatsziele, Beziehungen nach aussen und Sprachenfrage); 2. Titel: Grundrechte und Sozialrechte; 3. Titel: Das Volk (politische Rechte); 4. Titel: Staatsaufgaben (Zusammensetzung, Organisation und Kompetenzen der drei Staatsgewalten, territoriale Gliederung); 5. Titel: Zivile Gesellschaft inkl. Kirchen; 6. Titel: Übergangs- und Schlussbestimmungen.
Während je vier Tagen in den Monaten Januar, Februar und März wird das Plenum des Verfassungsrates nun den Entwurf in ersten Lesung beraten. Anschliessend findet bis Juni eine öffentliche Vernehmlassung statt. Die zweite Lesung ist für November und Dezember geplant und die dritte Lesung wird im Januar 2004 stattfindet. Die Volksabstimmung wird im Frühjahr 2004 abgehalten. wb
Website des Verfassungsrates: www.fr. ch/constituante
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