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Freitag 24. Januar 2003, Kanton Streik in jedem Fall ein Grundrecht?
Hartes Ringen um Verfassungsnormen zu den Arbeitsbeziehungen
Arbeitnehmende sollen das Recht haben zu streiken; dies aber nur dann, wenn eigene Arbeitsbeziehungen auf dem Spiel stehen. Ein Streik aus Solidarität für andere, wie er etwa in Nachbarländern besteht, soll in der neuen Freiburger Verfassung nicht verankert werden.
Von WALTER BUCHS
Bei der gestrigen Diskussion im Verfassungsrat, wie die Kollektivstreitigkeiten zu regeln sind, traten die unterschiedlichen Weltanschauungen der politischen Lager hart aufeinander. Gemäss den im vergangenen Jahr verabschiedeten Thesen sah der Vorentwurf der Verfassung vor, dass das «Streikrecht und das Recht auf Aussperrung gewährleistet sind, so weit Arbeitsbeziehungen betroffen sind und keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen». Dazu könnte das Gesetz bestimmten Kategorien von Personen den Streik verbieten oder Einschränkungen auferlegen, insbesondere im öffentlichen Dienst.
Streik aus Solidarität für andere?
Claude Schenker (CVP, Freiburg) vertrat allerdings die Ansicht, dass es sich beim Streikrecht nicht um ein individuelles Grundrecht handeln könne, da nicht der einzelne, sondern Organisationen davon Gebrauch machen. Er schlug deshalb einen Text vor, gemäss dem Streik und Aussperrung lediglich als «zulässig» bezeichnet werden. Er wurde dabei von der FDP- und SVP-Fraktion unterstützt.
Ganz anders sah dies die Linke. Vincent Brodard (SP, Romont) schlug vor, das Streikrecht zu gewährleisten, unabhängig davon, ob eigene Arbeitsbeziehungen auf dem Spiel stehen oder nicht. Seiner Meinung nach soll angesichts der Globalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten auch dann zum Streikrecht gegriffen werden können, wenn es darum geht, damit Arbeitnehmer in anderen Unternehmen oder anderen Branchen zu unterstützen. Die Möglichkeit, einen so genannten «Solidaritätsstreik» durchführen zu können, wurde namentlich auch von seiner Parteikollegin Eva Ecoffey, Villars-sur-Glâne, unterstützt.
Fast zwei Dutzend Rednerinnen und Redner meldeten sich zu diesem Thema zu Wort. Von niemandem wurde das Streikrecht im Grundsatz in Frage gestellt. Zudem wurde betont, dass die Sozialpartner in der Schweiz konstruktiv miteinander umgehen. Die entgegengesetzten Vorschläge neutralisierten sich aber so sehr, dass schlussendlich die ursprüngliche Version des Vorentwurfs durchkam. Der Artikel über das Petitionsrecht sah vor, dass die von einer Petition angesprochene Behörde «eine begründete Antwort» gibt. Die zuständige Sachbereichskommission schlug vor, dass die Antwort «innert nützlicher Frist» zu erfolgen hat. Anna Petrig (SP, Oberschrot) ergänzte, dass das Petitionsrecht ein wichtiges Kommunikationsmittel zwischen Gruppierungen und dem Staat sei. Demzufolge sei es unabdingbar, dass eine Antwort begründet und zeitgerecht erfolgt. In diesem Sinne wurde der Zusatz der Kommission klar gutgeheissen. Urteilsverkündungen öffentlich
Auf Vorschlag der SP-Fraktion soll die neue Verfassung festlegen, dass bei Gerichtsverfahren nicht bloss die Verhandlungen, sondern auch die Urteilsverkündungen öffentlich sind. Dieser Antrag wurde klar gutgeheissen. Auf Antrag von Reinold Raemy (CSP, Tafers) wurde zudem ein neuer Artikel in den Vorentwurf aufgenommen, gemäss dem «jede Person bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde hat».
Bestimmungen zur Einrichtung einer kantonalen Mutterschaftsversicherung, die die Bezugsdauer und die Leistungen klar festlegen und bis zur Einführung einer eidgenössischen Versicherung gelten sollen, stiessen im Verfassungsrat auf breite Zustimmung. Ein Mini-Vorschlag der FDP hatte diesbezüglich keine Chance.
Begleitung am Lebensende
Gemäss der vor einem Jahr verabschiedeten These sieht der Verfassungsvorentwurf unter dem Titel «Lebensende» folgende Bestimmung vor: «Jede Person hat das Recht in Würde zu sterben.» Für Daniel de Roche (EVP/CVP, Guschelmuth) ist diese Formulierung zweideutig. Es gehe nicht darum, eine Verfassungsnorm über den Tod aufzustellen, sondern das Recht auf ein würdiges Lebensende zu postulieren. Er schlug deshalb folgende Formulierung vor: «Jede Person hat das Recht das Lebensende in Würde zu leben.»
Die beiden Varianten wurden ausgiebig gegeneinander abgewogen. So stellte Ambros Lüthi (SP, Freiburg) fest, dass zur Menschenwürde auch das Recht in Würde zu sterben gehöre und gab dem Vorschlag des Vorentwurfs den Vorzug. In der Abstimmung unterlag der Antrag de Roche lediglich mit 55 zu 56 Stimmen.
Die SP-Fraktion hatte einen Zusatzabsatz vorgeschlagen, gemäss dem jede Person zur Erhaltung ihrer Würde beim Sterben das Recht hat, «in ihrer frei gebildeten Wahl und in ihren Handlungen begleitet zu werden». Diese Formulierung, die als Erlaubnis zur Sterbehilfe ausgelegt werden könnte, stiess auf wenig Gegenliebe und wurde deutlich abgeleht. Im Weiteren hat es der Verfassungsrat auch abgelehnt, zusätzlich zu den bereits gutgeheissenen Artikeln noch ausdrücklich ein Recht auf medizinische Grundversorgung und ein Recht auf Wohnung zu postulieren. Mindestlohn gekippt
Vor einem Jahr hatte der Verfassungsrat eine These verabschiedet, gemäss der per Gesetz ein Mindestlohn festgesetzt wird. Auf Antrag der FDP hat er diese Forderung am Donnerstag mit 59 zu 55 Stimmen wieder gestrichen.
Jean-Jacques Marti betonte (FDP, Freiburg), dass die Lohnfestlegung Gegenstand von Verhandlungen unter den Sozialpartnern sei und nicht Sache des Staates. Richtigerweise werde das Existenzminimum durch die Verfassung abgesichert. Verschiedene Redner unterstützten den Antrag aufgrund der Tatsache, dass die Festlegung eines Mindestlohns auch unerwünschte Entwick- lungen fördere. Armut sei mit anderen Mitteln zu bekämpfen. Für Alain Berset (SP, Belfaux) ist es aber nicht akzeptabel, dass Personen trotz einer Vollzeitstelle von ihrem Lohn nicht leben können. Auch Patrik Gruber (SP, Düdingen) wandte sich entschieden gegen den FDP-Antrag: «Solchen Neo-Liberalismus kann man nicht akzeptieren. Die Arbeit ist so zu entschädigen, dass man von der Entlöhnung auch leben kann.» Für Peter Jaeggi (CSP, Schmitten) wird mit tiefen Löhne nur Strukturerhaltung betrieben. Trotz dieser Argumente wurde der Antrag knapp angenommen.
Zulage für jedes Kind
Bei den Massnahmen zu Gunsten der Familien sah der Verfassungsentwurf vor, dass der Staat Familienzulagen ausrichtet, was nicht genau den vor einem Jahr verabschiedeten Thesen entspricht. Auf Vorschlag der Kommission wurde deshalb mit überwältigendem Mehr beschlossen, die Familienzulage in eine Zulage pro Kind umzuwandeln.
Im Weiteren hat das Plenum einen SP-Vorschlag abgelehnt, die Sozialhilfe zu kantonalisieren, und entgegen dem Willen der FDP dem Staat eine aktive Rolle bei der Wirtschaftsförderung zuerkannt. Auf Antrag der Kommission hat er schliesslich eine zusätzliche Bestimmung in den Vorentwurf aufgenommen, die den Staat verpflichtet, die Wohnhilfe und den Zugang zu Wohneigentum zu fördern.
Da der Verfassungsrat bei den Beratungen schneller vorwärts kam als vorgesehen, konnte er die Januar-Session gestern bereits beenden. wb
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