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Donnerstag 30. Januar 2003, Kanton Wenn die Sprache zur Verständigungsbarriere wird ... Der Beginn der Diskussion über den Vorentwurf einer neuen Kantonsverfassung in der vergangenen Woche im Verfassungsrat hat es einmal mehr gezeigt: Die Formulierung der Sprachenartikel gehört zu einem der heikelsten Punkte. Sie ist und bleibt die wohl sensibelste Frage, die es zu beantworten gibt. Die unterschiedlichen Auffassungen und Empfindungen der deutschsprachigen Ratsmitglieder und der Mehrheit (nicht der Gesamtheit) der französischsprachigen sind mit aller Deutlichkeit artikuliert worden.Die im Vorentwurf vorgeschlagene Formulierung der beiden Sprachenartikel entsprach inhaltlich genau dem, was die Mehrheit des Verfassungsrats vor einem Jahr in Form von Thesen verabschiedet hatte. Offenbar hat man dies bereits vergessen. Einige Wortführer kritisierten nämlich die (mehrheitlich deutschsprachige) Kommission, die ihre «einseitige Zusammensetzung» dazu missbraucht habe, Artikel vorzuschlagen, die den Weg für eine weitergehende Germanisierung frei machen. Offensichtlich wollen diese nicht zur Kenntnis nehmen, dass von einer Ausdehnung der deutschen Sprache in traditionell französischsprachige Teile des Kantons überhaupt nicht die Rede sei kann, wie die Ende vergangenen Jahres veröffentlichten Zahlen der letzten Volkszählung deutlich beweisen. Seit 1990 schreibt die Freiburger Staatsverfassung vor, dass «der Gebrauch der beiden Amtssprachen in Achtung des Territorialitätsprinzips geregelt wird». Dies bedeutet, dass jede Gemeinde eigentlich nur eine Amtssprache kennt und dass die Sprachgrenze strikt zu beachten ist. Aufgrund der Tatsache, dass es für besagten Grundsatz keine einheitliche Anwendungsregel gibt, dass er die Sprachenfrage in den letzten zehn Jahren im Kanton eher noch blockiert hat und dass die neue Bundesverfassung das Grundrecht «Sprachenfreiheit» eingeführt hat, wurde das «Territorialitätsprinzip» im Vorentwurf der Kantonsverfassung nicht explizit erwähnt. Dennoch erhielt er eine Bestimmung, wonach «auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete» zu achten ist. Die Kommissionspräsidentin sprach von einer «Aufweichung des Territorialitätsprinzips». Namentlich im französischsprachigen Kantonsteil sah man in diesem Vorschlag eine Gefahr für die bestehenden Verhältnisse und damit für den Sprachenfrieden. Unterstützt von der französischsprachigen Presse im Kanton, die sogar um «Hilfe vor einem Monstrum» schrie, vor einer «Rekolonialisierung Welschfreiburgs durch Deutschfreiburg» warnte und von der Notwendigkeit sprach, «eine Bombe zu entschärfen», schlugen ein gutes Dutzend Verfassungsräte, darunter die Chefs der drei grössten Fraktionen und der amtierende Präsident, eine Formulierung vor, welche den Begriff «Territorialitätsprinzip» explizit wieder aufnimmt. Zudem machte sie als Übergangsbestimmung einen sehr restriktiven Vorschlag, wann eine Gemeinde als zweisprachig bezeichnet werden darf. Damit sollte insbesondere die französischsprachige Bevölkerung beruhigt werden. Das Plenum lehnte aber diesen Vorschlag ab und zog einen Antrag von SP-Ratsmitglied Ambros Lüthi, Freiburg, vor. In diesem ist der umstrittene Grundsatz ebenfalls enthalten, er verbindet ihn aber - im Sinne eines Kompromisses - mit den Bestimmungen in der neuen Bundesverfassung. Nicht ohne Erstaunen und Besorgnis musste man bei den Diskussionen der vergangenen Woche im Verfassungsrat zur Kenntnis nehmen, dass alte Fronten nach wie vor besetzt und entschieden verteidigt werden. Es gibt einem schon zu denken, wenn weltoffene und konziliante junge Mitbürger die grösste Mühe haben, die Zweisprachigkeit des Kantons als Bereicherung anzusehen und diese endlich gezielt zur Verbesserung seiner Stellung im Lande zu nutzen. Misstrauen, Unterstellungen und Verdächtigungen bilden offenbar eine Barriere. Dabei kann man nicht genügend betonen, dass die Kolonialisierungsthese völlig absurd ist und dass Zweisprachigkeit natürlich nicht bedeuten wird, dass ein Deutschsprachiger auf der Gemeindeverwaltung von Montbovon verlangen kann, dass mit ihm deutsch gesprochen wird. Gleichzeitig muss man aber auch hinzufügen, dass eine sture Aufteilung in zwei Sprachgebiete und das Festhalten an einer fiktiven Sprachgrenze Rassismus gleichkommt und dies in einer Zeit, wo kaum mehr jemand die Notwendigkeit bestreitet, Integrationsbestrebungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern. Angesichts der historischen Entwicklung, der heutigen Gegenbenheiten und der Erfordernisse der Zukunft braucht aber der Kanton Freiburg in der Sprachenfrage Grundsätze, die positiv besetzt sind. Sie sollen in der Praxis pragmatische Lösungen ermöglichen, die einer offenen Gesellschaft würdig sind. In diesem Sinne ist der Kompromiss von Ambros Lüthi, wie er jetzt in erster Lesung angenommen wurde, ein akzeptabler und gangbarer Weg. Es wird aber ganz von dessen Auslegung abhängen. Dass dieser Kompromiss nun von welscher Seite bereits wieder in Frage gestellt wird, kann nur bedauert werden. Auch wenn der Begriff «Territorialitätsprinzip» entgegen den Ratschlägen namhafter Experten wieder aufgenommen wurde, enthält nämlich der Verfassungsentwurf in der in erster Lesung verabschiedeten Version einige sehr begrüssenswerte Elemente. Die Sprachenfreiheit wird als individuelles Grundrecht anerkannt. Die Zweisprachigkeit wird als wesentlicher Bestandteil der Identität des Kantons bezeichnet. Und schliesslich können endlich Gemeinden auch offiziell als gemischtsprachig gelten. Diese positiv formulierten Punkte müssten in einer neuen Kantonsverfassung enthalten sein, wenn man sie in rund 16 Monaten bei der Volksabstimmung mit gutem Gewissen zur Annahme empfehlen soll. Realistisch gesehen liegt wohl für den Moment nicht viel mehr drin. Der Kanton Freiburg wird aber seine Hausaufgaben erst dann wirklich gemacht haben, wenn man in der Verfassung nicht mehr von Minderheiten spricht und wenn beide Sprachgemeinschaften gleichberechtigt sind. Erst dann kann der Kanton die Trümpfe, die er in der Hand hat, richtig einsetzen und als Modell der Zweisprachigkeit in der Schweiz und in Europa gelten. Die kommenden Generationen, die hoffentlich eines Tages diesen Schritt beschliessen werden, sind schon heute darauf vorzubereiten. Von WALTER BUCHS
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