Tribulations d’un musée XVIIIe−XXIe schildert der Historiker Fabien Python die wechselvolle Geschichte des Musée d’art et d’histoire in Freiburg i. Ü. Seine rund 400 Seiten umfassende, reich illustrierte Publikation wurde von der Société d’histoire du Canton de Fribourg herausgegeben und gliedert sich in sieben Kapitel, von denen jedes kurz in deutscher Sprache zusammengefasst ist. Die einzelnen Kapitel werden ergänzt durch die Besprechung eines emblematischen Werks, das für die vorher geschilderte Museumsentwicklung typisch ist. Der Autor erzählt diese Geschichte, die hier kurz wiedergegeben sei, facettenreich und dramaturgisch geschickt, bisweilen durchsetzt mit feinem Humor und Sprachwitz. Er stützt sich dabei auf reiches Quellenmaterial, das zum Teil ausführlich im Text zitiert wird.
In den Räumen des ehemaligen Jesuitenkollegs, das trotz der Aufhebung des Ordens im Jahr 1773 ein Ort der Bildung und Gelehrsamkeit bleibt, nimmt die Sammlung ihren bescheidenen Anfang. Dem Kolleg vermacht der Heimlicher und ehemalige Venner Tobie Gerfer 1774 seine Münzen- und Medaillensammlung, die in der Bibliothek bewahrt wird. Mit der Rückkehr der Jesuiten im Jahr 1818 gelingt es vor allem, den naturwissenschaftlichen Teil der Sammlung zu erweitern. 1824 hinterlässt der Chorherr und ehemalige Jesuitenzögling Charles-Aloyse Fontaine dem Staat sein aus Naturalien und einer kleinen Kunstsammlung bestehendes Kuriositätenkabinett. Diese frühe Sammlung, zu der auch die vom belgischen Pater Jean-Baptiste Wiere erworbenen wissenschaftlichen Instrumente gehören, findet wohl zusammen mit dem römischen Mosaik von Cormérod im zwischen 1829 und 1838 errichteten Lyzeum eine erste museale Präsentation, die von den eidgenössischen Truppen bei ihrem Einmarsch in Freiburg 1847 teilweise sinnlos zerstört und geplündert wird. Nach der Vertreibung der Jesuiten und der Machtübernahme durch die radikale Regierung wird mit Pater Meinrad Meyer ein Konservator zur Betreuung der Bibliothek sowie der jetzt separat geführten Altertumssammlung ernannt und zudem der Architekt Johann Jakob Weibel mit dem Bau eines Museums- und Bibliothekgebäudes im zur Umnutzung freigegebenen Couvent des Cordeliers betraut. Dieses ehrgeizige Projekt wird unter der 1856 gewählten konservativen Regierung aufgegeben, der Säkularisierungsprozess der Klöster wird rückgängig gemacht, und auch Meyers Nachfolger Pater Jean Gremaud kann zwar die archäologische Sammlung ausbauen, erhält aber nicht die nötigen Mittel, um das Entwicklungspotenzial des Museums weiter auszuschöpfen.
Mit dem Anschluss Freiburgs an das Eisenbahnnetz verbessert sich ab den 1870er Jahren die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und damit auch die Stellung des Bürgertums, das sich neben Klerus und Patriziat zu einer dritten gesellschaftlichen Kraft entwickelt. 1867 erfolgt die Gründung einer freiburgischen Sektion des Schweizerischen Kunstvereins, die sich zum Ziel setzt, die Künste durch Ausstellungen, Ankäufe, Vorträge und Ausbildungsangebote zu fördern. Zudem führt der Verein in den Jahren 1870 und 1872 im Kornhaus zwei Turnusausstellungen durch, die aber wenig erfolgreich sind. Auf ein grosses Publikumsinteresse stösst hingegen die 1874 organisierte Gemäldeausstellung mit Beständen aus Freiburger Sammlungen, die sogar vom Maler Gustave Courbet besucht wird. Im Bewusstsein um den Reichtum dieser Schätze veranlasst der kunstsinnige Staatsrat Henri de Schaller die Einrichtung eines Kunstkabinetts im Museum und beauftragt den Konservator Louis Grangier mit der Betreuung dieser neuen Abteilung. Grangier baut daneben die archäologische Sammlung mit Objekten aus Pfahlbau-funden und der Römerzeit aus, kümmert sich um das reiche Patrimonium im Bereich der Glasmalerei und erstellt erste Sammlungskataloge. In seine Amtszeit fällt auch die Einrichtung eines Waffensaals (1872), der vor allem durch einen Kreis von Patriziern um den Offizier und Politiker Arthur de Techtermann betreut und gefördert wird. Hier setzt sich das Freiburger Patriziat mit seiner militärischen Vergangenheit gleichsam ein eigenes Denkmal.
Eine neue Wende in der Museumsgeschichte vollzieht sich mit dem Tode der Bildhauerin und Malerin Adèle d’Affry, die mit 20 Jahren Carlo Colonna, Herzog von Castiglione, heiratet und unter dem männlichen Pseudonym Marcello künstlerisch tätig ist. In ihrem Testament vom 28. November 1877 setzt sie den Staat Freiburg als Erben ein, sofern er im Lyzeum Räume für die Sammlung zur Verfügung stellt. Dieser Forderung sucht Staatsrat Schaller unbedingt nachzukommen, indem er im Erdgeschoss des Museums drei Räume nach dem Willen der Herzogin einrichten lässt. So entsteht 1881 ein eigentliches Künstlermuseum, das Marcellos Werken und Objekten gewidmet ist und die Besuchenden in die Atmosphäre ihres Ateliers eintauchen lässt.
Mit der Gründung der Universität Freiburg 1889 unter Staatsrat Georges Python setzen vorerst Spannungen mit der Museumsleitung ein, da die ebenfalls im Lyzeum untergebrachte Alma Mater früh unter Platznot leidet und Räume des Museums für sich beansprucht. Andererseits profitiert das Museum auch vom wissenschaftlichen Potenzial der Hochschule. Es sind vor allem der Kunsthistoriker Josef Zemp, der auf christliche Archäologie spezialisierte Msgr. JeanPierre Kirsch und der Theologe Pater Joachim-Joseph Berthier, die sich wissenschaftlich mit den Beständen des Museums und dem Freiburger Patrimonium befassen. Die vom 1887 wiedererstandenen Kunstverein gemeinsam mit dem Gewerbeverein herausgegebene Zeitschrift Fribourg artistique (1890−1914) stärkt das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung der Freiburger Kunst- und Kulturgüter. In dieser Zeit wird das Museum von 1892 bis 1899 interimistisch von Maurice Musy, dem Konservator des Naturhistorischen Museums, betreut. Mit der Ernennung von Max de Techtermann zum Konservator im Jahr 1899, der das Museum bereits von 1882 bis 1885 geleitet hat und gleichzeitig das Amt des Kantonsarchäologen innehat, erfährt das Museum eine neue Dynamik. De Techtermann verfolgt eine effiziente Ankaufspolitik, deren Hauptaugenmerk auf der regionalen Kunst des Spätmittelalters und der Frührenaissance liegt; er verändert die Szenografie des Museums, legt Wert auf eine Verbesserung des Inventars und kümmert sich um die Konservierung der Objekte. 1902 verkauft er dem Staat Freiburg seine mehr als 400 Objekte umfassende Sammlung, die wesentlich aus Glasgemälden und mittelalterlichen Holzskulpturen besteht, der 1919 der Verkauf seiner Grafiksammlung folgen wird. Bereits 1906 wirft de Techtermann enttäuscht das Handtuch, weil er seine ehrgeizigen Pläne für das Museum nicht verwirklichen kann. Auf ihn folgt 1908 der ehemalige Polizeidirektor Raymond de Boccard, in dessen Amtszeit das Haus in einen Dornröschenschlaf fällt. Der neue Konservator lässt jede Professionalität vermissen. Während in Lausanne mit dem Palais de Rumine (1906) und in Genf mit dem Musée d’art et d’histoire (1910) moderne Institutionen entstehen, erlebt das Freiburger Museum seinen eigentlichen Niedergang, den auch der rührige stellvertretende Konservator und Kantonsarchäologe Chorherr Nicolas Peissard nicht aufzuhalten vermag.
Die unrühmliche Situation ändert sich erst durch die vom Kanton Freiburg bewilligte Annahme einer Schenkung von rund 500 zum Teil zweifelhaften Möbeln und Fayencen durch Lucy Brondeault de Saulxures. Die Gräfin verlangt dabei die Ausstellung ihrer Sammlung in einem geeigneten Gebäude, in dem sie für sich ein lebenslanges Wohnrecht beansprucht. Dies veranlasst den Staatsrat, den Ratzéhof, ein repräsentatives Palais aus der Renaissance, das bisher als Amtssitz der Präfektur gedient hat, in ein Museum umzuwandeln, in dem die Exponate 1922 in Form von Period Rooms präsentiert werden. Nach und nach werden auch die Bestände des Museums im Lyzeum in den Ratzéhof überführt und nach dem Tod der Gräfin (1929) vom neuen Konservator Henri Broillet einer eigentlichen Neuordnung, welche die Kulturgeschichte Freiburgs in den Mittelpunkt stellt, unterzogen. Mit der Errichtung des neuen Universitätsgebäudes «Miséricorde» erhält das Museum die Möglichkeit, seine Kunstsammlung ab 1941 permanent auszustellen. Auch bekommt es die Gelegenheit, Wechselausstellungen zu veranstalten, was ihm eine neue Dynamik verleiht. Allerdings löst diese Unterbringung nur bedingt die Platzprobleme des Museums. Zudem erweist sich die Aufteilung der Sammlungen auf mehrere Räumlichkeiten als unglückliche Lösung. Allerdings gelingt es den Konservatoren Alfred A. Schmid und Jean-Baptiste de Weck in den 50er Jahren, in zwei gut besuchten Ausstellungen zur Kunst Freiburgs das Interesse einer breiten Bevölkerung für das lange vernachlässigte Patrimonium zu wecken. Ihr Nachfolger Marcel Strub entwickelt den Masterplan «Museum 64». So entsteht in den Jahren 1961 bis 1964 als Erweiterungsbau des Ratzéhofs ein von den Architekten Otto Baechler und Charles Passer entworfener Saal für Wechselausstellungen, der auch der Präsentation von Gegenwartskunst dient. Dieser Kunstperiode gilt das besondere Interesse von Michel Terrapon, der nach dem Tod von Marcel Strub im Jahr 1969 die Geschicke des Museums leitet. Mit der Verwirklichung des Projekts «Museum 81» erreicht das Museum endlich seine jetzige Gestalt und Grösse. Es sind die Architekten Pierre Zoelly und Michel Waeber, die das benachbarte alte Schlachthaus in einen beispielhaften Erweiterungsbau des Museums umwandeln, das damit eine zusätzliche Fläche von 1340 Quadratmetern gewinnt. Das Gebäude wird 1981 unter der Ägide von Yvonne Lehnherr eröffnet. In ihre Amtszeit fällt auch die Eröffnung der Espace Jean Tinguely − Niki de Saint-Phalle im umgewandelten alten Tramdepot im Jahr 1998. 2009 übernimmt Verena Villiger Steinauer die Direktion des Museums. Unter ihrer Leitung wird die Dauerausstellung neu präsentiert und die Sammlung systematisch inventarisiert. Im Geiste der Öffnung entsteht ein attraktives Programm an Ausstellungen und museumspädagogischen Offerten, darunter die dem Freiburger Maler Hans Fries gewidmete grosse monografische Ausstellung. Mit der hier besprochenen Publikation leistet der Autor nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Freiburger Museumsgeschichte in ihrer kulturpolitischen Verflechtung, er setzt auch einen farbigen Mosaikstein in die bisher leider zu wenig erforschte Geschichte der Museen in der Schweiz. Nur ein Museum, das seine eigene Historie und die seiner Sammlungen kennt, kann sich sinnvoll und nachhaltig in die Zukunft entwickeln. Dieses Bewusstsein fehlt bisweilen im hektischen und anspruchsvollen Tagesgeschäft der Schweizer Museen. In seiner historischen Tiefenbohrung liefert Fabien Python gleichsam ein Modell für die Aufarbeitung einer Museumsgeschichte, die zugleich wissenschaftlich fundiert und unterhaltsam ist. Museumspädagogik einmal anders!
Cäsar Menz, ZAK, Band 76, Heft 3/2019