Kontext
Obwohl Personen im Alter von 65 Jahren oder älter von den ersten Massnahmen des Bundesrates zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) direkt betroffen sind, ist ihre «Stimme» in den Debatten und Diskussionen noch viel zu selten vertreten. Vor diesem Hintergrund lancierte die Hochschule für Soziale Arbeit Freiburg (HSA-FR) am 17. April 2020 eine Studie bei dieser Zielgruppe, um ihre Meinung zu dieser aussergewöhnlichen Zeit im Rahmen einer Online-Befragung zu .
Die Umfrage wurde dank der Unterstützung von politischen Behörden, Organisationen, Verbänden und Ansprechpartnern der Kantone Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Waadt und Wallis bei der Zielgruppe verbreitet.
Beitrag der Studierenden
Die Studierenden der HSA-FR aber auch der HES-SO Freiburg wurden darum gebeten, die Information an Personen ab 65 Jahren in ihrem Umfeld weiterzugeben und die älteren, mit Informatikanwendungen vielleicht etwas weniger vertrauten Personen bei der Beantwortung der Fragen zu unterstützen. Dieses Vorgehen zielt auch darauf ab, unter Einhaltung des notwendigen Abstands die Beziehung zwischen den Generationen zu fördern.
Informationen zu den bisherigen Teilnehmenden
Vom 17. bis 23. April (1) wurden 2480 vollständig ausgefüllte Fragebogen eingereicht. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden beträgt 71,8 Jahre. Die ältesten sind 95 Jahre alt.
58 % sind Frauen und die meisten Befragten sind verheiratet oder in einer Beziehung. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten lebt allein (2).
Alle Westschweizer Kantone sind vertreten. Fast die Hälfte der Teilnehmenden (1103 Personen) stammt aus dem Kanton Waadt.
(1) Um diese ersten Informationen am 27. April kommunizieren zu können, erfolgte am 23. April um 8 Uhr eine erste Datenextraktion.
(2) Diese ersten Informationen beziehen sich nicht auf Personen, die in einem Pflegeheim leben. Sie könnten Gegenstand einer weiteren Studienphase werden.
Gegensätze bei den sozialen Kontakten
Die meisten Befragten geben an, mit ihren Angehörigen und Freunden sehr häufig Kontakt zu haben, sei es durch Besuche, Telefonanrufe, Briefe, SMS oder E-Mails. Rund zwei Drittel der Teilnehmenden haben täglich sozialen Kontakt. Viele (39,2 %) haben auch neue Möglichkeiten entdeckt, um Kontakte zu pflegen, sowohl virtuell (z. B. über neue Apps für das Smartphone) als auch physisch (z. B. durch Gespräche von einem Garten oder Balkon zum anderen). Über ein Drittel der Teilnehmenden (34,8 %) gibt an, wieder Kontakt zu Personen aufgenommen zu haben, die sie «aus den Augen verloren» hatten.
Während rund ein Drittel angibt, sich infolge der COVID-19-Krise häufiger mit Angehörigen und Freunden auszutauschen, hat dieser Kontakt bei 21,8 % der Teilnehmenden abgenommen. Somit hat der Kontakt mit Freunden und Familienangehörigen bei mehr als einem Fünftel der Personen abgenommen.
Täglicher Bedarf relativ gut gedeckt
Die älteren Personen erklären, in der aktuellen Krisensituation hauptsächlich beim Einkauf Hilfe zu benötigen (54,1 %) und in geringerem Mass bei der Beschaffung von Informationen zum COVID-19 und für Einkäufe in der Apotheke. In diesen Bereichen helfen ihnen vor allem ihre Kinder, aber auch ihre Partnerin/ihr Partner und Nachbarn. Von den Personen, die angegeben haben, Hilfe zu benötigen, bezeichnen 96,8 % diese Unterstützung als «ausreichend».
37,5 % geben an, dass sie keine spezifische Hilfe benötigen.
Die zu Hause lebenden älteren Menschen bleiben seit dem Ausbruch der COVID-19-Krise aktiv: Mehr als ein Fünftel hat bei der Bewältigung des Alltags neue Aufgaben übernommen (Körperpflege, Zubereitung der Mahlzeiten usw.). Weitere rund 20 % helfen anderen.
Eine klare Verschlechterung des gesellschaftlichen Bildes aufgrund ihres Alters
Die Hälfte der Teilnehmenden (49,5 %) denkt, dass sich das Bild, das jüngere Generationen von Personen ab 65 Jahren haben, seit Beginn der COVID-19-Krise negativ verändert bis sogar deutlich verschlechtert hat. Viele sind der Meinung (60,8 %), dass die Medien in der aktuellen Krisensituation dazu beitragen, ein negatives bis sogar sehr negatives Bild von Personen im Alter von 65 Jahren oder älter zu vermitteln.
3 von 5 Personen haben das Gefühl, seit Beginn der Krise anders behandelt zu werden, und 1 von 5 gibt an, aufgrund ihres Alters bereits ungerecht behandelt worden zu sein.
60,3 % der Teilnehmenden sind der Meinung, dass Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter ungerecht behandelt werden, ebenfalls aufgrund ihres Alters.
Senioren mit Krisenmanagement der Institutionen zufrieden
Rund 90 % der Teilnehmenden beurteilen die von den Gemeinden und Kantonen ergriffenen Massnahmen zur Unterstützung und zum Schutz der Personen ab 65 Jahren als (weitgehend) ausreichend.
Die Befragten informieren sich in erster Linie über Radio und Fernsehen über die COVID-19-Situation, sie nennen aber auch die Zeitung als Informationsquelle. Die Website des Bundes, Freunde, 3
Angehörige und soziale Medien werden weniger häufig genannt, sie bilden aber dennoch wichtige Informationsquellen.
In Bezug auf die Auswirkungen dieser Gesundheitskrise auf die intergenerationellen Beziehungen sind die Befragten eher geteilter Meinung (32,4 % denken, dass die Krise einen negativen Einfluss auf die Beziehungen zwischen den verschiedenen Generationen haben wird, und 24,1 % erwarten positive Auswirkungen).
Als mögliche negative Auswirkungen genannt werden eine zunehmende Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung, Verlust von emotionaler Unterstützung und emotionalen Bindungen sowie die Tatsache, dass Personen im Alter von 65 Jahren oder älter für die aktuelle Krise verantwortlich gemacht werden.
Im Gegensatz dazu könnten sich die positiven Auswirkungen aus der Solidarität ergeben, die sich während der Krise entwickelt hat, oder aus einer verstärkten Achtsamkeit gegenüber anderen.
Erhebliche Auswirkungen von COVID-19 auf die Stimmung der Senioren
Über ein Drittel der Teilnehmenden gibt an, sich einsam zu fühlen. Seit Beginn der Krise hat sich dieses Gefühl der Einsamkeit bei rund 1 von 3 Personen sogar verstärkt.
40,8 % der Personen, die den Fragebogen ausgefüllt haben, geben an, dass sich die aktuelle Krise (sehr) negativ auf ihre Stimmung auswirkt.
Die Ängste der Personen im Alter von 65 Jahren oder älter im Zusammenhang mit dem COVID-19 betreffen die Gesundheit ihrer Angehörigen (90,2 %) oder ihre eigene Gesundheit (68,9 %). Andere äussern auch die Angst vor einem möglichen Mangel an medizinischem Material (Beatmungsgeräte und Medikamente). Die Befragten befürchten ausserdem, dass jüngere Patientinnen und Patienten bei der Behandlung Vorrang haben. Auch äussern sie die Befürchtung, die Pandemie nicht bewältigen zu können (67,4 %).
Wie steht es mit der schrittweisen Lockerung der Schutzmassnahmen? Die Frage «Wie lange könnten Sie die aktuell geltenden Einschränkungen ertragen?» beantwortet rund ein Viertel der Befragten mit «höchstens 1 oder 2 Wochen», ein Fünftel sagt «noch 3 oder 4 Wochen» und ein weiterer Viertel gibt «1 bis 3 Monate» an.
Ausblick
Diese ersten Informationen decken nur einen Teil der Fragen der laufenden Studie ab. Sie sind hier in deskriptiver und knapper Form dargestellt. Viele Erkenntnisse müssen erst noch gewonnen und nach Kanton, Geschlecht oder Altersgruppe der Befragten analysiert werden (Datenverknüpfung).
Der Fragebogen kann weiterhin ausgefüllt werden und die Datenerhebung wird während der gesamten Dauer der COVID-19-Krise weitergeführt. Die Resultate werden regelmässig auf der Webseite des Projekts aktualisiert: www.hets-fr.ch/fr/accueil/no_menu/cov65ans.
Praktische Informationen:
Link zur Umfrage: https://go.hets-fr.ch/cov65ans
Weitere Informationen: www.hets-fr.ch
Kontakt:
Christian Maggiori, Professor und Leiter der Studie: +41 76 424 64 24, christian.maggiori@hefr.ch
Joël Gapany, Direktor: +41 79 670 71 57, joel.gapany@hefr.ch
Maël Dif-Pradalier, Professor und Verantwortlicher Weiterbildung und Dienstleistungen,
+41 26 429 62 95, mael.dif-pradalier@hefr.ch
Nelly Plaschy-Gay, Kommunikationsverantwortliche: +41 79 750 86 03, nelly.plaschy-gay@hefr-ch