Im Zentrum des Umzugs, der aus fünf Gruppen besteht, trägt der Bischof die Monstranz, umgeben von der 1653 gegründeten Sakramentsbruderschaft (Dorand, S. 78), die aus in schwarzen Gewänders und weissen Handschuhe bekleideten Mitgliedern alter Patrizierfamilien besteht. Diese tragen eine wappengeschmückte Tortsche oder Laterne; rund um den Baldachin defilieren somit rund dreissig Personen mit den von Generation zu Generation weitervererbten Tortschen. Ehemalige Schweizergardisten bewachen das Heilige Sakrament. An Altären, die an der Strecke errichtet werden, finden Segnungen statt. Acht Kanonenschüsse geben der Zeremonie einen festen Rhythmus, indem sie jede Etappe vom Beginn der Messe im Hof des Kollegiums St. Michael bis zum Abschluss der Feier vor der Kathedrale St. Nikolaus markieren.
Das Freiburger Fronleichnamsfest ist auch von weltlichen Bräuchen begleitet: So spielen die Blasmusiken alljährlich einen Morgenstreich, und ihre Mitglieder stärken sich dann mit einer Zwiebel- oder Erbsensuppe, bevor sie zu den Gläubigen stossen. Die militärische Präsenz der Grenadiere, die traditionellen Kanonenschüsse im Morgengrauen, welche die Bevölkerung laut dem Historiker J.-P. Dorand seit mindestens 1643 wecken und gelegentlich zu Reaktionen in der Presse führen, die prachtvollen Gewänder: all dies sind altmodische Bräuche, die bei uninformierten Besucherinnen und Besuchern Staunen erregen.
Die früheste Erwähnung des Freiburger Fronleichnamsfests datiert von 1425 (Macherel, Steinauer, S. 284). Ohne ihre Ursprünge zu verleugnen, machte die Prozession in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts infolge der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und aufgrund der Entwicklung der Freiburger Gesellschaft einen tiefgreifenden Wandel durch. Sie wurde einfacher – die Reihen der Geistlichen haben sich gelichtet, die Schüler des Kollegiums marschieren nicht mehr in geschlossener Formation, die Prozession geht vor der Kathedrale zu Ende, die Hausfassaden sind weniger geschmückt, die Zahl der Bäumchen hat abgenommen, seit 2012 ertönen weniger Kanonenschüsse – und kürzer, ist aber weiterhin sehr feierlich und bewahrt Spuren des Ancien Régimes. Dank des Einsatzes von Freiwilligen, die den Fortbestand des Festes gewährleisten, strömen immer noch viele Gläubige und Zuschauer/innen zu diesem «Grossereignis der Volksreligion», wie der verstorbene Bischof Genoud das Freiburger Fronleichnamsfest bezeichnete.
Bemerkungen
Fronleichnam, auch Herrgotts-, Blut- oder Sakramentstag genannt, gehört zum liturgischen Kalender der römisch-katholischen Kirche. Das Fest wurde 1246 erstmals in Lüttich gefeiert. Im 14. Jahrhundert gewann es an Beliebtheit und nahm die Form einer Prozession zur Verherrlichung des Corpus Christi an.
Fronleichnam ist im Kanton Freiburg ein Feiertag, ausgenommen für die reformierten Gemeinden des Seebezirks (Francey, Delphine: «Le Vully au travail à la Fête-Dieu», in: La Liberté, 8. Juni 2012, S. 17). Alle katholischen Pfarreien feiern eine Messe und führen eine Prozession durch, an der unter anderen die in weisse Alben gekleideten Erstkommunikantinnen und Erstkommunikanten teilnehmen. Die Blasmusik begleitet den Umzug. Die Organisation der Prozession hängt von lokalen Traditionen ab.
Text : Florence Bays
Übersetzung : Hubertus von Gemmingen
Für weitere Informationen
- MACHEREL, Claude, STEINAUER, Jean : « L’Etat de Ciel », Pro Fribourg, Nr. 80, März 1989.
- MULHAUSER, Johann et Jean, GADMER Jean-Claude : Dieu en fête. Regards sur la procession de la Fête-Dieu à Fribourg, Fribourg, Editions Regard Fribourg-Editions La Sarine, 2009.
- DORAND, Jean Pierre : La ville de Fribourg de 1798 à 1814. Fribourg, Academic Press, 2006, S. 78.
- Brief von Jürg Elsner, La Liberté, 9. Juni 2012, S. 2.