Wenn die Schafe nach der Sömmerung auf der Alp wieder ins Tal ziehen, werden die Herden auf einem Sammelplatz in Pferche getrieben. Eine Sömmerungsherde besteht meist aus Tieren mehrerer Eigentümer oder Züchter. Vom grossen Pferch aus führen Öffnungen zu kleineren Umzäunungen. Dorthin können die Schafe je nach Besitzer ausgeschieden werden. Besondere Kennzeichen, welche die Tiere vor dem Alpaufzug erhalten (Zeichnung mit wetterfester Farbe, Brandzeichen, Ohrmarke usw.), erleichtern im Herbst die Separierung oder wie der Vorgang traditionell genannt wird: die Schafscheid. Die Tiere dürfen nicht abgeführt werden, bevor der Weibel die Richtigkeit der Aufteilung bestätigt hat (vgl. Schweizerisches Idiotikon, Bd. 8, Spalte 219f.)
Jaun: grösster Anlass im Jahresablauf
Am Tag der Schafscheid verdreifacht sich jeweils die Einwohnerschaft des Greyerzer Dorfes Jaun von 700 auf über 2000 Personen. Viele auswärtige Jauner besuchen an der Schafscheid ihr Heimatdorf. „Der grösste und wohl bekannteste Anlass in Jaun ist die Schafscheid“, führt der Tourismusverantwortliche Jean-Marie Buchs gegenüber den Freiburger Nachrichten aus; man sei bestrebt, den Anlass noch besser touristisch zu vermarkten (vgl. FN vom 2. Juli 2009).
2012 fand die Schafscheid von Jaun zum 418. Mal statt. Rechnet man zurück, kommt man auf das Jahr 1594/1595. Damals gewährte die Freiburger Regierung der Landschaft Jaun ein Marktrecht. Aus einem Bericht aus dem Jahr 1643 wird ersichtlich, dass in Jaun zwei Jahrmärkte abgehalten wurden (Karl Holder: Das Landrecht von Jaun. In: Freiburger Geschichtsblätter 9[1902] S. 48f). Die Schafscheid ist nicht ausdrücklich erwähnt; doch einer der Markttage scheint als Schafscheid abgehalten worden zu sein.
Traditionell findet die Schafscheid in Jaun am Montag nach dem eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag, also Mitte September, statt. Früher wurde sie am Samstag vor dem Bettag durchgeführt. Bis in die Morgenstunden wurde jeweils gefeiert und der Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes vernachlässigt. So wurde der Anlass auf Betreiben des Pfarrers auf den Montag nach dem Bettag verschoben.
In den vergangenen Jahren wurden jeweils zwischen 300 und 500 Tiere, aufgeteilt in mehrere Herden, zur Schafscheid getrieben. Oft nimmt sich der Schafhirt die Mühe, seine Tiere für den Alpabzug zu schmücken. An der Schafscheid werden die Tiere nicht nur an die Besitzer übergeben; es findet auch ein Handel statt. In den letzten Jahren ist es Brauch geworden, dass auch Schafhalter aus dem Unterland Tiere zur Schafscheid bringen. Ein wichtiger Abnehmer ist dabei die Schlachtviehverwertungs-Genossenschaft. Veränderungen in der Landwirtschaft, aber auch das Auftreten des Wolfes haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Zahl der aufgeführten Tiere abgenommen hat. Andererseits fehlt es nicht an jungen Schafhirten. Die Schafscheid von Jaun dürfte also auf längere Sicht gesichert sei (FN vom 6. September 2012).
Bekannt ist auch das Jauner Schafscheid-Menu; eigentlich das traditionelle Freiburger Kilbimenu. Dazu gehörte früher die Freiburgerplatte mit Geräuchertem, Kabis und Kartoffeln und anschliessend Schafbraten mit seiner Garnitur. Heute wird gemäss Roger Schuwey vom Hotel Hochmatt im Fang ein einfacheres Menu serviert: Schafragout mit Kartoffelstock und Büschelibirnen oder Schafgigot mit Kartoffelkroketten und Büschelibirnen. Auch im Hôtel de la Cascade in Bellegarde drängen sich viele Besucher dafür.
Unsichere Zukunft der Schafscheid von Plaffeien
Erstmals wird 1947 im Marktverzeichnis für Plaffeien neben den vier traditionellen Märkten offiziell eine Schafscheid aufgeführt. Wie ein Bericht in den Freiburger Nachrichten von 1927 zeigt, ist die Schafscheid aber viel älter, denn es heisst dort: „Ein interessantes Bild zeigt sich jeweilen am ersten Mittwoch des Monats September im Dorf Plaffeien. Da kommen die Schafhirten mit denen ihnen zur Sömmerung anvertrauten, nach vielen hundert Stück zählenden Schafherden nach Plaffeien, um die Tiere an die verschiedenen Eigentümer zurückzugeben.“ Detailliert wird geschildert, wie dieser Anlass verläuft. „Sobald die Schafe in die dazu hergestellten Pferchen eingestellt sind, so fängt sofort ein Suchen und Hasten an; ein jeder sucht seine Schafe aus dem Trupp heraus, was manchmal mit etwas Schwierigkeiten verbunden ist, wenn etwa das eine oder andere sein um den Hals gebundenes Brettchen mit den aufgebrannten Buchstaben während des Sommers verloren hat und allfällig keine Kennzeichnung angebracht ist. Gewöhnlich werden aber die Schafe auch noch an den Ohren gezeichnet, was das Erkennen erleichtert.“ Es wird dann auch erzählt, wie der Schafhirt zum Beweis für abgestürzte oder eingegangene Schafe paarweise Ohren aus seinem Rucksack hervorholt. (FN 64 (1927) Nr. 196, S. 4)
Bis 1974 fand die Schafscheid jeweils am ersten Mittwoch im September statt. Weil sie nahe beim ersten Herbstmarkt lag, wurde sie ab 1975 unter dem Namen Schafteilet am Samstag vor dem Bettag durchgeführt. Seit 1982 findet die Schafscheid in Zollhaus statt. Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem beliebten Treffpunkt und gesellschaftlichen Anlass entwickelt. Die Schafscheid von Zollhaus hat aber besonders unter den Diskussionen rund um den Wolf gelitten. Wurden an der Schafscheid 2011 noch 550 Tiere gezählt, wurde die Veranstaltung für 2012 abgesagt. Weil niemand mehr bereit ist, den Anlass zu organisieren, ist seine Zukunft unsicher.
Auch in den Nachbarkantonen
Für Riffenmatt, in der benachbarten bernischen Gemeinde Guggisberg, ist die Schafscheid bis ins Jahr 1662 belegt. Sie findet traditionell am ersten Donnerstag im September statt. In früheren Jahren wurden jeweils bis zu 600 Tiere auf die Schafscheid in Riffenmatt getrieben. Gegen 20 000 Besucher verfolgen jeweils die Heimkehr der Schafe und nehmen am Marktgeschehen teil. „Für uns ist die Schafscheid fast so wichtig wie der Nationalfeiertag“, erklärte Ueli Gaffner, Gemeindeschreiber von Guggisberg, zur Schafscheid von Riffenmatt. Er ist überzeugt, dass es die Schafscheid auch noch geben wird, selbst wenn keine Schafe mehr aufgeführt werden. „Es würde zwar etwas Wichtiges fehlen, aber das Fest an sich würde dennoch stattfinden.“ (FN vom 1. September 2011 und FN vom 6. September 2012).
2011 waren es nur gegen 100 Tiere. Die Schafzuchtgenossenschaft Rüschegg, die grösste Schafhalterin der Region, hatte ihre 400 Schafe wegen der Wolfsattacken schon vorzeitig von den Weidegründen geholt. Die Schafe kehrten 2012 auch nicht mehr auf die traditionellen Alpen zurück.
Besondere Bekanntheit hat auch die Schafscheid auf der Bellalp VS, wo jeweils gegen 1200 Schafe zusammengetrieben, prämiert und den Eigentümern übergeben werden (vgl. dazu Walter Baumann (Text) und Michael Wolgensinger: Folklore Schweiz. Brauchtum, Feste, Trachten, Zürich 1979, S. 90).
Text : Anton Jungo
Für weitere Informationen
- BAUMANN, Walter und WOLGENSINGER, Michael: Folklore Schweiz. Brauchtum, Feste, Trachten, Zürich 1979, S. 90.
- HOLDER, Karl: « Das Landrecht von Jaun » in Freiburger Geschichtsblätter, n°9, 1902, S. 48 ff.
- Schweizerisches Idiotikon, vol. 8, coll. 219.