Kurze Geschichte
Auch heute wird der Kanton Freiburg häufig als katholisch-ländlicher Lebensraum wahrgenommen, in dem das Leben von vieler Traditionen bestimmt wird. Dieses Bild erfüllt einerseits die Erwartungen der Touristen und entspricht andererseits wohl auch einer Wirklichkeit, wie sie von den vor 1960 geborenen Generationen noch gelebt wird, während sie für die folgenden Generationen nur noch von symbolischer Bedeutung sein dürfte. Tatsächlich fielen die 1960er-Jahre mit dem industriellen Aufschwung eines bis dahin nahezu ausschliesslich landwirtschaftlich geprägten Kantons zusammen: Mit einer Umkehr des Migrationsflusses, der ihn zuvor seit dem 18. Jahrhundert immer wieder seiner treibenden Kräfte beraubt hatte; mit dem Umbruch, den das Zweite Vatikanische Konzil der katholischen Kultur Freiburgs brachte; und schliesslich mit den neuen Bildungsmodellen, die das auf die Gegenreformation zurückgehende Reproduktionssystem der Eliten erschütterten.
Im ausgehenden 20. Jahrhundert werden alte Traditionen wie der Alpabzug zunehmend neu inszeniert, während die Wirtschaft sich ständig wandelt und die Bevölkerung rasch zunimmt. Zahlreiche Feste und Traditionen nehmen die heute bekannten Formen an und die erneuerten Bräuche tragen zur Erhaltung eines stabilen sozialen Netzwerkes bei.
Lebendige Traditionen im Kanton Freiburg
Die unzähligen Traditionen des Freiburgerlands sind durch einige gemeinsame Grundzüge charakterisiert. Es lassen sich vier Hauptgruppen unterscheiden, die sich teilweise überschneiden und häufig sogar überlagern. Die erste Gruppe umfasst die Sennenkultur mit den saisonalen Alpauf- und -abzügen: Chalet, Schindeln, Käse, Doppelrahm, Ranz des vaches (Lyoba, Kühreihen), Bredzon (kurzärmlige Sennenjacke), Poya (gemalte Alpaufzüge) und Glockenriemen... Die zweite Gruppe zeugt vom Weiterbestehen eines ausdrucksstarken und populären Katholizismus mit seinen Prozessionen (Fronleichnam, Bittgänge), seiner Heiligenverehrung, seinen Wallfahrten und seinen weltlichen Fortsetzungen (Essgelage der Kilbi oder Bénichon). Die dritte Gruppe umfasst das Chorsingen, eine beliebte künstlerische Ausdrucksform der Freiburgerinnen und Freiburger: Man singt, weil man sich trifft oder man trifft sich, weil man singt; man singt im gemischten Chor, im Männer-, Frauen- oder Kinderchor, ein weltliches oder geistliches, populäres oder gelehrtes, altes oder neues, französisches oder deutsches, lateinisches oder mundartliches Repertoire. Und schliesslich vertritt die letzte Gruppe das Interesse an historischen Gedenktagen mit patriotischem und militärischem Hintergrund, das sich in Paraden, Festen und Feiern manifestiert, die wie die «Solennität» von Murten oft mit einer religiösen Note angereichert sind. Oder das sich in szenischen Darstellungen mittelalterlicher Prägung niederschlägt, insbesondere rund um die Grafen von Greyerz.
Seit kurzem lässt sich in Städten wie in kleineren Ortschaften ein zunehmendes Festhalten an Festivals beobachten. Die Traditionen sprechen die junge Generation an, die sich nicht scheut, sie sich anzueignen und neu zu erfinden.
Als echter touristischer Trumpf werden die lebendigen Traditionen in den Werbestrategien der Tourismusregionen und -vereinigungen regelmässig promotet. Die traditionellen Alpabzüge, die Veranstaltungen rund um die Bénichon-Kilbi, das Nikolausfest oder das Poya-Fest in Estavannens sind populäre Veranstaltungen, die ein Publikum aus dem Kanton wie aus den Nachbarregionen anziehen. Dank des Einsatzes zahlreicher Freiwilliger und ihrer Anpassung an den heutigen Kontext können diese Veranstaltungen auf die Beteiligung der örtlichen Bevölkerung zählen und stärken deren Verbundenheit mit dem traditionellen Kulturerbe.
Massnahmen zur Unterstützung der lebendigen Traditionen
m Rahmen der Arbeiten zur Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens auf Bundesebene wurden unter der Leitung des Musée gruérien die lebendigen Traditionen des Kantons Freiburg erfasst. Das Freiburger Inventar wird punktuell aktualisiert, dank der Arbeit der kantonalen Kommission für das immaterielle Kulturerbe und mit dem Beitrag von Trägern und Trägerinnen, Kennern und Kennerinnen von Traditionen, die eingeladen werden, Präzisierungen anzubringen und dieses Inventar zu bereichern. Die letzte umfassende Revision wurde 2024 unter der Leitung von Anne Philipona durchgeführt.
Die vor diesem Inventarisierungsprozess ausgearbeitete kantonale Kulturgesetzgebung ermöglicht die Unterstützung der lebendigen Traditionen: In Vereinen organisierte Traditionsträger können Jahressubventionen beantragen; für professionelle Projekte, die zur Erneuerung oder Bereicherung der lebendigen Traditionen beitragen, können Unterstützungsbeiträge gewährt werden; gewisse handwerkliche Fertigkeiten wie die Schindelmacherei erhalten eine besondere finanzielle Unterstützung und die Sensibilisierung für lebendige Traditionen ist im Lehrplan der obligatorischen Schule verankert. Die Pädagogische Hochschule Freiburg entwickelt ihrerseits Forschungsprojekte und gibt didaktische Hilfsmittel für Lehrpersonen und Schüler heraus.
Zudem ermöglicht das Programm Kultur & Schule die Unterstützung und Aufwertung von Aktivitäten, die einen Bezug zum immateriellen Kulturerbe haben (Besichtigungen, Workshops, Vorführungen).
Zwischen 2016 und 2018 wurden im Rahmen des von Pro Helvetia unterstützten Projekts #tradifri neue Amateur- und Profibilder von Traditionen, wie sie in unserer Gesellschaft gelebt werden, gesammelt.