Für die Spielenden ist das Ritual stets das gleiche: Zuerst gilt es, die richtigen Cartons auszuwählen. Manche suchen lange nach ihren Glückszahlen, einem Geburtstagsdatum oder einer Lieblingszahl, und scheiden andere Karten umgehend aus gemäss einer geheimnisvollen Logik. Dann setzen sie sich an einen Tisch, holen Glücksbringer und Talismane hervor und bilden einen kleinen Stapel Cartons, um die Zahlen zu verbergen. Das Lotto beginnt in vollkommener Stille, nur die Stimme des Ausrufers, der die Zahlen bekannt gibt, ist zu hören. Die Spannung steigt allmählich, bis jemand «Quine!» ruft. Ein lautes Stimmengewirr setzt ein. Der Repetitor schreit durch den Raum oder in ein Mikrofon die Gewinnzahlen, die am Tisch des Ausrufers überprüft werden. Manchmal fällt das schreckliche Verdikt: «Die Zahl 8 wurde nicht gezogen.» Und sofort geht es weiter mit der Quine. Oder alle Zahlen sind richtig, und die Doppelquine beginnt. Dicker Rauch füllt allmählich den Saal, denn bis zum Rauchverbot in Gaststätten gibt es viele Rauchende. «Coup d’sac!» oder «Sack schütteln» wird manchmal gefordert. Wird die Treize (Dreizehn) gezogen, gibt es gewöhnlich einen Witzbold, der «Thérèse» antwortet. «Carton im kleinen Saal» tönt es plötzlich aus dem Lautsprecher. Wenn nur noch eine einzige Zahl auf ihrem Carton nicht abgedeckt ist, setzen sich einige auf die Karte und konzentrieren sich voll auf die fehlende Zahl.
Zwischen den einzelnen Gängen – Quine, Doppelquine und drei Cartons – huschen die Serviererinnen zwischen den Tischen hin und her, um die Kundschaft zu bedienen. In der Pause teilen die Gewinner, wenn es mehrere für dasselbe Lot gibt, dieses untereinander auf. Das kann ein mit Lebensmitteln gefüllter Korb oder ein Demi-Vacherin sein, der zerteilt wird. Bei einem Chämischinken muss sich jedoch einer der Gewinner bereit erklären, ihn ganz zu nehmen und den oder die anderen auszuzahlen.
Lottos, eine Institution
Im Freiburgerland ist das Lotto ein dem Bingo ähnliches Glücksspiel, bei dem die Teilnehmenden nummerierte Cartons kaufen und die ausgelosten Zahlen ankreuzen. Ziel ist es, eine Linie (Quine), zwei Linien (Doppel-Quine) oder alle drei Linien (Carton) zu füllen, um einen Preis zu gewinnen. Die Preise sind vielfältig: Waren es früher vor allem Lebensmittel, gewinnt man heute eher Geldbeträge oder Einkaufsgutscheine.
Lottos sind in den Dörfern und Städten des Kantons sehr beliebt. Jede örtliche Vereinigung (Sport-, Musik-, Feuerwehr-, Kulturverein usw.) veranstaltet regelmässig ein Lotto, um Geld zu sammeln. Mit den Gewinnen werden Projekte finanziert, wie der Kauf von Instrumenten oder Sportartikeln, verschiedene Jugendaktivitäten oder die Durchführung lokaler Feste. Privatpersonen dürfen keine Lottos veranstalten; einzig juristische Personen sind dazu berechtigt, und der Reingewinn muss vollständig für gemeinnützige Zwecke oder die Bedürfnisse des veranstaltenden Vereins verwendet werden, sofern dieser keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgt.
Obwohl Lottos das ganze Jahr über stattfinden können, werden sie in der kalten Jahreszeit häufiger abgehalten. Für die grosse Zahl der Lottobegeisterten steht der gesellige Aspekt im Mittelpunkt. Das Lotto bietet Gelegenheit, um mit Freunden auszugehen, einen gemeinsamen Moment bei einem Glas zu teilen und die Spielatmosphäre zu geniessen.
Verunsicherung im Jahr 2021
Lange waren Geldlottos eine Besonderheit des Kantons Freiburg. Am 1. Januar 2021 wurden jedoch aufgrund des Inkrafttretens des kantonalen Einführungsgesetzes (EGBGS) zum Bundesgesetz über Geldspiele (BGS) die Geldgewinne verboten. Dieses Verbot löste bei den Lottoveranstaltern Verunsicherung aus, da sie nun wieder Sachpreise anbieten mussten und befürchteten, dass ihre Veranstaltungen nicht mehr so beliebt wären.
Im Jahr 2023 ermöglichte ein neues Reglement die Rückkehr der Lottos mit Geldgewinnen dank eines Modells, das in Zusammenarbeit mit der Oberamtspersonenkonferenz entwickelt wurde und die Einhaltung des Bundesgesetzes über Geldspiele sicherstellt. Da 50% der Einsätze auszuschütten sind und es 10% Gewinnende geben muss, wurden Trostpreise eingeführt, um die Anzahl der Gewinnenden zu erhöhen. «Volantes» und «Séries royales» wurden abgeschafft. Zudem muss die Anzahl der zum Verkauf stehenden Cartons im Voraus angekündigt werden, und zudem wurde sie begrenzt, um Unregelmässigkeiten bei grossem Andrang zu vermeiden.
Ursprünge des Lottos in Freiburg
Die Geschichte der Lottos im Kanton Freiburg ist eng mit dem lokalen Vereins- und Kulturleben verbunden. Allmählich entwickelte es sich von einem einfachen Glücksspiel zu einer fest verankerten Volkstradition.
Das mehrere Jahrhunderte alte Lottospiel hat seine Ursprünge im Italien des 16. Jahrhunderts in Form einer Volkslotterie. Anschliessend breitete es sich in andere europäische Länder aus, darunter auch in die Schweiz. Das Grundprinzip bestand darin, Zahlen zu ziehen und den Gewinnern Preise anzubieten. Im Kanton Freiburg kamen Lottos in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im Rahmen gemütlicher Vereinsabende auf. Auf das Lotto folgte gewöhnlich eine Darbietung des veranstaltenden Vereins: ein für den Anlass inszeniertes Theaterstück, ein kleines Konzert oder ein Tanzabend. Lottos haben somit einen doppelten Zweck: Sie bieten Unterhaltung und eine Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und gleichzeitig Geld für die Finanzierung von Vereinsaktivitäten zu sammeln.
Entwicklung der Lottos
Lottos nehmen im lokalen Kalender immer mehr Platz ein. Die Werbeseiten der Zeitungen La Liberté und La Gruyère sind in den 1950er- bis 1990er-Jahren voller Anzeigen der veranstaltenden Vereine. Die Lottos finden in Gemeindesälen oder Dorfgasthöfen und an bekannten Orten in den Städten und Hauptorten statt, wie etwa im Grenettesaal in Freiburg oder im Rathaussaal in Bulle.
Die Teilnehmenden sind bestrebt, ihre Chance zu nutzen und Lots zu gewinnen, die oft aus Lebensmitteln, manchmal auch aus Elektrogeräten oder anderen Haushaltsartikeln bestehen. Ein Zopf oder eine Flasche Wein bei der Quine, eine Wurst oder ein «Filet garni» bei der Double-Quine, der berühmte Chämischinken oder der Demi-Vacherin beim ersten Carton. In manchen Regionen sind drei Cartons üblich, da die Lots immer kleiner werden. Zu den üblichen Preisen gehören die «Corbeille garnie» (ein mit Lebensmitteln – meist aus dem Dorfladen – gefüllter Korb, gelegentlich mit schönen Entdeckungen, die Lust auf mehr machen, manchmal mit alten Konservendosen, die man nicht zu öffnen wagt), Sauerkraut mit Beilage, geräucherte Rippli oder Schweinskarrees aus der Dorfmetzgerei, Raclettekäse oder Vacherin aus der Käserei. Man kauft vor allem in den Dorfläden ein, in der Hoffnung, mehr Unterstützung zu erhalten.
Übergang zu grösseren Veranstaltungen
In den 1980er-Jahren ist eine gewissen «Professionalisierung» der Lottos zu beobachten, mit denen die Veranstalter teilweise ihren Lebensunterhalt verdienen. Diese Anlässe ziehen gelegentlich mehrere hundert Personen an und werden in grossen Sälen und Hallen mit vielen Parkplätzen veranstaltet. Die Lots werden gewichtiger, und es gibt Gutscheine, Sparbücher und Bargeld. Goldvrenelis und Napoléons d’or sind ebenfalls beliebt.
Themen- und Mega-Lottos ziehen ein noch breiteres Publikum an. Einige Veranstaltungen bieten spektakuläre Preise wie Reisen, Autos oder Gutscheine mit hohen Beträgen an. Die Durchführung von aufwendigeren Lottos mit elektronischen Ziehungs- und Kartenverwaltungssystemen wird üblich. Diese Praxis ermöglicht es den Veranstaltern, Giga-Lottos durchzuführen, die gewöhnlich anlässlich eines bestimmten Fests (Giron, kantonales Gesangsfest) stattfinden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Dorflottos verschwinden, auch wenn ihre Gewinne nicht vergleichbar sind. Sie ermöglichen jedoch eine gewisse Sozialisierung innerhalb der Ortschaft und einen geselligen Anlass für manchmal vereinsamte Personen.
Auch heute noch sind Lottos ein wichtiger Pfeiler des Freiburger Vereinslebens. Die lokalen Sport-, Musik- und Kulturvereinigungen veranstalten sie regelmässig, um ihre Aktivitäten zu finanzieren. Sie zeugen von der Bedeutung der Vereinsnetzwerke und dem Gemeinschaftsgeist der Region.
Text : Anne Philipona
Übersetzung : Hubertus von Gemmingen
Für weitere Informationen
- PHILIPONA Anne, «Une année au bistrot: 1895, 1925», in Auberges et bistrots, Cahiers du Musée gruérien (10), 2015, S. 67–80.
- SALOMON Martine: «Suspense dans les lotos fribourgeois», in L’Inédit, Portal notreHistoire.ch, 2020.