Die Älplermesse von Bulle findet am zweiten Sonntag im Mai statt und wird bei gutem Wetter auf dem Vorplatz der Kirche Saint-Pierre-aux-Liens gefeiert. An ihr nehmen die Mitglieder der Société des armaillis de la Gruyère und ihre Angehörigen vor dem Alpaufzug teil. Die Messe von Châtel-Saint-Denis wird heute in Les Paccots gefeiert.
Die erste Messe des armaillis fand im Mai 1958 in Châtel-Saint-Denis statt. In der Kirche drängelten sich Männer in Bredzon (kurzärmelige Sennenjacke) und weissem Hemd, die vor dem Alpaufzug ihre Festtagstracht trugen. Am Ende des Gottesdiensts erhielten sie ein Kruzifix zur Mitnahme in die Alphütten. Zwei Jahre nach dieser Premiere wird diese Messe bereits als «traditionell» bezeichnet und auf Radio Sottens übertragen. Die Predigt wird im Patois von Pfarrern gehalten, welche die Berge lieben und sich den Sennern nahe fühlen.
In Bulle wird die Messe des armaillis erstmals 1965 von Pfarrer Armand Perrin gefeiert. Die bis auf den letzten Platz gefüllte Kirche ist mit Treicheln, Glocken und Alpgerätschaften geschmückt. Sogar die Messdiener tragen den Bredzon.
In Treyvaux findet im Mai 1968 eine erste Messe des armaillis statt, an der in diesem noch überwiegend landwirtschaftlich geprägten Dorf zahlreiche Pfarreimitglieder und Alpbewirtschaftende teilnehmen.
Diese bergverbundene katholische Frömmigkeit ist Teil einer Erneuerung, der man auch anderswo begegnet. Im Wallis, insbesondere um die Hospize auf dem Grossen St. Bernhard und dem Simplon, lanciert der Chorherr und Bergführer Gratien Volluz eine neue Bergpastorale, die grossen Anklang findet, weil sie die Gläubigen direkt anspricht.
Während die Alp lange als Ort gilt, der weit vom Dorf und damit von der Kirche und der Kontrolle des Pfarrers entfernt ist, entwickeln sich in den 1950er-Jahren religiöse Rituale, welche die Berge und ihre saisonalen Bewohnerinnen und Bewohner verherrlichen. Mit den Liedern von Joseph Bovet, den Predigten in Patois der Pfarrer Armand Perrin aus Bulle, Paul Chollet aus Grandvillard, Bernard Kolly aus Châtel-Saint-Denis und einiger anderer Geistlicher bildet sich eine Religiosität heraus, welche die Berge zu einem sakralisierten Raum macht.
Zwischen den 1940er- und 1970er-Jahren führt dieses Interesse überdies zur Errichtung zahlreicher Kapellen, Oratorien und Kreuze. Diese Gebetsstätten tragen zu einer «religiösen Aneignung des Alpenraums» bei, wie der Historiker und Priester Jacques Rime erklärt.
Ein weiteres Ritual in Verbindung mit dem Alpaufzug ist die Segnung der Herden vor der Poya. Dieser Brauch ist in anderen Alpen- und Voralpenregionen seit langem belegt, wird jedoch in den alten Archivquellen des Kantons kaum erwähnt. Bekannt ist, dass der Pfarrer von Neirivue zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Herden am Dorfausgang vor dem Alpaufzug segnete, der durch die gefährliche enge Evi-Schlucht führt. Die Kapelle Notre-Dame de l’Evi wacht noch immer über Älpler und Wanderer. In der Pfarrei Plaffeien wurde die Kapelle im Weiler Rufenen von den Hirten besucht, die ihre Herden unter den Schutz der heiligen Silvester und Wendelin stellten, eine Tradition, die sich jedoch erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu entwickeln begann. Zwischen 1930 und 1950 besuchte der Pfarrer Bernard Kolly von Châtel-Saint-Denis, der bereits wegen seiner Predigten in Patois erwähnt wurde, die Alpen und segnete die Herden. Der Brauch blieb auch nach seinem Tod im Jahr 1953 bestehen und wurde von anderen weitergeführt, ist aber heute praktisch verschwunden.
Hinweis: Die Messen in Patois sind Teil derselben Dynamik und zeugen von der Rückbesinnung auf ländliche Werte und ihrer Aneignung durch Geistliche und Gläubige in einem Gefühl der Volksreligiosität. Ein Gottesdienst ist besonders berühmt: die Messe der Poya von Estavannens, ein Fest, bei dem der Alpaufzug gefeiert wird und das seit 1956 in unregelmässigen Abständen stattfindet (1956-1960-1966-1976-1989-2002-2013).
Text : Anne Philipona
Übersetzung : Hubertus von Gemmingen
Für weitere Informationen
- La Fête de la Poya, Neuenburg: Alphil 2013.
- RIME, François: «Les animaux et l’Eglise: bénies soient les bêtes?», in Cahiers du Musée gruérien, Bêtes et bestioles, (11) 2007, S. 105–110.
- RIME, Jacques: Le baptême de la montagne, Neuenburg: Alphil 2021.
- RIME, Jacques: «Patois et religion. De la démarche pastorale à la célébration du folklore», in Cahiers du Musée gruérien, Ora le patê, A présent le patois, (13), 2021, S. 163–170.