Armut als relatives Phänomen bezeichnet ein Defizit in wichtigen Lebensbereichen wie Wohnen, Ernährung, Gesundheit, Bildung, Arbeit und soziale Kontakte. Ein Haushalt gilt dabei als bedürftig, wenn er nicht in der Lage ist, die für seinen Lebensunterhalt notwendigen Mittel aus eigener Kraft zu beschaffen, oder wenn das Haushaltseinkommen nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern unter dem sozialen Existenzminimum liegt.[1]
Aus der Erhebung und Analyse einer beträchtlichen Menge sensibler Daten für das Berichtsjahr 2019 geht hervor, dass die Zahl der armutsbetroffenen Personen und Haushalte im Kanton Freiburg seit dem letzten Bericht über die Armut zugenommen hat.
Diese Zunahme schlägt sich jedoch nicht in der Armutsquote (2,2 %) nieder, da die Armut langsamer wächst als die Bevölkerung. Die Zahl der armutsbetroffenen Personen beläuft sich somit auf 6513 (4056 Haushalte). Mehr als 25 000 Personen, d h. 8 % der Freiburger Bevölkerung, sind unmittelbar armutsgefährdet, was durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und anderer Krisen noch verstärkt wird. 2019 lag die Freiburger Armutsrisikogrenze bei 2622 Franken pro Monat für eine alleinlebende Person. Dabei schützt eine Anstellung nicht immer vor Armut oder vor dem Armutsrisiko. So lebte 2019 mehr als die Hälfte der armutsgefährdeten Freiburgerinnen und Freiburger in einem Haushalt, dessen Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit stammt (unselbständige Tätigkeit: 49,4 % und selbständige Tätigkeit: 4,3 %).
Einelternfamilien besonders von Armut betroffen
Im Vergleich zu 2011 (Referenzjahr für den ersten Bericht) ist festzustellen, dass 2019 die Armut bei den über 56-Jährigen zunimmt. Die Anwesenheit von Kindern im Haushalt stellt für Mütter jeweils ein grösseres Armutsrisiko dar, da sie aufgrund der traditionellen Rollenverteilung nur teilweise in den Arbeitsmarkt integriert sind. Die Armutsquote der Frauen ist während der Zeit, in denen die Haushalte normalerweise Kinder betreuen, höher als jene der Männer. Die Quoten gleichen sich an, sobald die Jugendlichen selbständig werden, und gehen ab dem Rentenalter wieder auseinander. Doch die Frauen leiden unter den Folgen ihrer unterschiedlichen Beteiligung am Arbeitsmarkt, da das System der Schweizer Altersvorsorge auf eine ununterbrochene Erwerbstätigkeit ausgelegt ist.
Am stärksten armutsgefährdet sind Haushalte mit einer erwachsenen Person und einem oder mehreren Kindern (Einelternfamilien), die nach wie vor ein Drittel der armutsgefährdeten Haushalte ausmachen. In 92 % der Fälle sind es Frauen, die Einelternfamilien vorstehen.
Versteckte Armut und Nichtbezug von Sozialhilfe
Eine weitere beunruhigende Feststellung ist, dass Personen, die Anspruch auf Sozialhilfe hätten, dieses letzte Auffangnetz nicht immer nutzen. Die von Freiburg für alle gesammelten qualitativen Daten zeigen, dass die Hauptfaktoren für den Nichtbezug der Sozialhilfe Befürchtungen im Zusammenhang mit der Aufenthaltsbewilligung, aufgrund der Rückerstattung der Sozialhilfe (Angst vor der Verschuldung bei der öffentlichen Hand) und die Schwierigkeiten aufgrund des Verwaltungsverfahrens sind.
Während die meisten Studien auf eine Zunahme der Armut in der Schweiz hindeuten, ist die Zahl der Sozialhilfefälle rückläufig. Im Kanton sind rund 1334 Personen von dieser versteckten Armut betroffen, Tendenz steigend. Der Nichtbezug von Sozialhilfe kann jedoch erhebliche Auswirkungen haben, wie die Verschlechterung der sozialen und gesundheitlichen Bedingungen, Überschuldung, Verlust der Wohnung oder Auswirkungen auf die Kinder.
Die wichtige Rolle der Vereine
Manche Personen oder Familien leben nur knapp über der Armutsgrenze und können unvorhergesehene Ausgaben nicht bestreiten. Diese Personengruppe, die während der Covid-19-Krise besonders stark betroffen war, hält sich nun gerade so über Wasser. Sie hat keinen oder kaum Zugang zu Sozialleistungen und wendet sich daher an Vereine wie Caritas, Rotes Kreuz, Banc public, La Tuile usw. Dank des aufgebauten Vertrauens sind die Vereine zur Unterstützung bedürftiger Personen wichtige Anlaufstellen für die Betroffenen und übernehmen mit ihrem Fachwissen eine ergänzende Rolle zu den staatlichen Institutionen. Die öffentlich-private Zusammenarbeit muss daher verstärkt werden.
Seit der Veröffentlichung des ersten Berichts über Armut im Jahr 2016 wurden einige bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Hervorzuheben sind der Zugang zu Sozialleistungen, die Vereinsarbeit oder der Gesetzesentwurf über Ergänzungsleistungen für Familien mit niedrigem Einkommen, der demnächst im Grossen Rat behandelt wird. Das revidierte Sozialhilfegesetz wird ebenfalls demnächst dem Grossen Rat vorgelegt. Im aktuellen Bericht werden neue Handlungsebenen angesprochen, darunter die Idee eines Rahmengesetzes zum Sozialwesen.
[1] Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), Das soziale Existenzminimum der Sozialhilfe, SKOS-Grundlagenpapier, Bern, 2020