Wer wissen will, welche Tier- und Pflanzenarten in einem bestimmten Gebiet leben, muss gezielt nach ihnen suchen. Da dies aufwendig ist, bestehen nach wie vor viele Wissenslücken, auch im Kanton Freiburg. Eine davon betrifft die Totholzkäfer, von denen in der Schweiz etwa 1500 Arten bekannt sind. Sie sind abhängig von totem und verrottendem Holz und spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem Wald. Um mehr über ihren Bestand im Kanton Freiburg zu erfahren, wurden zwischen 2018 und 2020 auf Initiative des Naturhistorischen Museums Freiburg 49 Fallen in den Wäldern der Freiburger Voralpen aufgestellt. Nach unzähligen Arbeitsstunden im Gelände, beim Sichten und Identifizieren lag ein Datensatz mit fast 3500 Individuen aus 481 Arten vor. Bei 293 dieser Arten handelt es sich um xylobionte, also totholzbewohnende Käfer. Viele dieser Insekten sind gefährdet, vor allem als Folge des Rückgangs alter, ausgewachsener Wälder in Mitteleuropa.
Nach unzähligen Arbeitsstunden im Gelände, beim Sichten und Identifizieren lag ein Datensatz mit fast 3500 Individuen aus 481 Arten vor. Bei 293 dieser Arten handelt es sich um xylobionte, also totholzbewohnende Käfer.
86 emblematische Käferarten gefunden
Die grosse Überraschung: 86 dieser Käfer befinden sich auf der Liste der emblematischen Arten der Schweiz.1 Das bedeutet, dass sie aufgrund ihrer Seltenheit und ihrer besonderen ökologischen Ansprüche spezielle Beachtung verdienen. Als Bioindikatoren helfen sie, die Qualität der Wälder, die sie bewohnen, zu beurteilen. So beherbergt etwa der Wald Le Lapé im Greyerzbezirk Bius thoracicus und Orchesia fasciata, zwei Käferarten, die in der Schweiz nur selten beobachtet werden und in alten Wäldern in höheren Lagen leben. In dem abgelegenen Arven- und Fichtenwald haben sie offenbar Unterschlupf gefunden. In der Gegend von Bonaudon kommen Sphindus dubius und Mycetophagus atomarius vor, Insekten, die sich von auf Totholz wachsenden Pilzen ernähren. Erwähnenswert ist auch der Steilhang Côtes de Baumes im Broyebezirk, einer von zwei untersuchten Standorten, die nicht in den Voralpen liegen. Nicht weniger als 27 emblematische Arten wurden hier gefunden, darunter der in Europa sehr seltene Schwarzbraune Kurzschröter (Aesalus scarabaeoides).2
Wahrscheinlich waren diese Insekten im Kanton Freiburg immer präsent, doch erst die systematische Inventarisierung hat sie zum Vorschein gebracht und so unseren Wissensstand über ihre Verbreitung in der Schweiz verbessert. Ihre Entdeckung unterstreicht die Bedeutung alter und geschützter Wälder im Kanton Freiburg und die Verantwortung des Staates für deren Erhalt. Die seltenen Insekten könnten so in Zukunft auch dabei helfen, neue Waldreservate zu definieren und so das für 2030 gesetzte kantonale Ziel von 4300 Hektaren zu erreichen, was wiederum der Biodiversität insgesamt zugutekommen wird.
Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern
Die vom NHMF gesammelten Daten wurden in der Ausgabe 2022 der Zeitschrift Entomo Helvetica3 veröffentlicht und sind so sowohl für die breite Öffentlichkeit als auch für die Wissenschaft zugänglich, dies nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern, im Speziellen mit dem Schweizerischen Zentrum für die Kartografie der Fauna (info fauna – SZKF), den Zivildienstleistenden des NHMF und dem Amt für Wald und Natur des Kantons Freiburg.
Wälder mit ausgewachsenen Bäumen werden immer seltener
Die Forstwirtschaft verfolgt in ganz Europa das Ziel, den wirtschaftlichen Ertrag der Wälder zu erhöhen. Der natürliche Lebenszyklus der Bäume wird darum massiv verkürzt. Die Bäume werden im Alter von 100 bis 200 Jahren gefällt, obwohl die Altersphase bei vielen Arten erst nach mehr als 400 Jahren einsetzt. Dabei sind es gerade die späten Lebensphasen, wenn der Baum ausgewachsen ist, in denen er für Totholzkäfer und für die Biodiversität im Allgemeinen besonders wertvoll ist. Wälder, in denen Bäume aller Lebensphasen vorkommen, sogenannte Primärwälder, werden in Europa immer seltener. Die einzigen Primärwälder der Schweiz sind der Fichtenurwald Scatlè in Graubünden, der Bergurwald Derborence im Wallis und der Bödmerenwald im Muotatal im Kanton Schwyz.
1 Sanchez A., Chittaro Y., Monnerat C. & Gonseth Y. 2016. Les Coléoptères saproxyliques emblématiques de Suisse, indicateurs de la qualité de nos forêts et milieux boisés. Mitteilungen der Schweizerischen Entomologischen Gesellschaft, 89: 261–280.
2 Hauser G., Wermelinger B., Roth N. & Chittaro Y. 2021. Redécouverte d’Aesalus scarabaeoides
(Panzer, 1793) en Suisse (Coleoptera, Lucanidae). Entomo Helvetica, 14: 135–139.
3 Originalpublikation: Hauser G., Giriens S., Chittaro Y. & Kozlowski G. 2022.Un inventaire des Coléoptères saproxyliques du canton de Fribourg révèle 86 espèces emblématiques et 132 premières mentions cantonales. Entomo Helvetica, 15: 47 – 56.
Kontakte
—
Gilles Hauser, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des NHMF
Sophie Giriens, Konservatorin der zoologischen Sammlungen des NHMF