Die Arbeiten für dieses umfassende Projekt zur Architektur und zum Ingenieurbau des 20. Jahrhundert im Kanton Freiburg wurden bereits 1990 aufgenommen. Die Initiative ergriffen hatte François Martin, der damalige Verantwortliche für die Baubewilligungen im kantonalen Baudepartement. Er sah das Projekt als eine Art Test für die Qualität des Bauens in der jüngsten Vergangenheit. Die Verordnung vom 7. November 1991 über den Schutz der Kulturgüter erwähnt explizit unter den thematischen Inventaren des Kantons jenes der Bauten und Ensembles der zeitgenössischen Architektur von Qualität. Freiburg war der erste Kanton, der diesen Schritt wagte. Im August 1990 wurde eine Kommission für das Inventar der zeitgenössischen Architektur geschaffen, die den Redaktor Christoph Allenspach bei der Auswahl wertvoller Bausubstanz unterstützte. Die Freiburger Sektion des SIA wurde bereits damals Partnerin des Projekts. Die Finanzierung gewährleistete die Loterie romande. 1994 erschien eine Publikation, die eine erste Bilanz zog: Zeitgenössische Architektur im Kanton Freiburg 1940-1993. Publiziert wurden 181 Bauten aus dem gesamten Kanton. Nach der Jahrhundertwende wurde das Inventar mit Bauten aus den 1930er und den 1990er Jahren ergänzt.
2016 beschloss das kantonale Amt für Kulturgüter eine Erweiterung des Forschungsprojekts über den gesamten Zeitraum des 20. Jahrhunderts mit dem Ziel, in einer Publikationsreihe die bedeutendsten Gebäude mit Textanalysen, Plänen und Fotos zu dokumentieren. Damit sollten einerseits die Kenntnisse über Formen, Konstruktionsweisen, Materialien und den räumlichen Kontext verbessert werden. Andererseits wollte man die Sensibilität für diese neuere Baukultur und ihre Schutzwürdigkeit erhöhen. Inzwischen standen Renovationen, Umbauten und Erweiterungen an, mehrere Gebäude waren bereits durch Abbruch oder unsachgemässen Umgang zerstört oder beeinträchtigt worden. Der Redaktor Christoph Allenspach wurde beauftragt, die Dossiers zu überarbeiten und neue Dossiers anzulegen, falls sich weitere Bauten als schützenswert erwiesen. Für erweiterte historische Recherchen und die Schlussredaktion der französischen Texte zeichnet Aloys Lauper verantwortlich.
DIE PUBLIKATION: Bauen in der Stadt Freiburg 1950-2000
Band 1 der Reihe zur Baukultur der Stadt Freiburg 1950-2000 umfasst 106 Gebäude und Siedlungen. Die grosse Anzahl mag erstaunen, doch erfuhr die Stadt Freiburg nie zuvor in ihrer Geschichte in einem so kurzen Zeitraum eine derart radikale Erweiterung. In den neuen Quartieren Schönberg, Beaumont, Jura und Beauregard-Vignettaz liegen heute die Mehrheit der verfügbaren Wohnungen. Es entstanden Grosssiedlungen in weit grösseren Dimensionen als früher, ausserdem im Stadtzentrum eine stattliche Anzahl von Hochhäusern und Verwaltungsgebäuden, in mehreren Quartieren Schulen und Kirchen. Der historische Stadtkern nimmt heute nur mehr den kleineren Teil des überbauten Territoriums ein. Neben der Masse hastig hochgezogener Bausubstanz von minderer architektonischer und städtebaulicher Qualität haben innovative Architekten, Ingenieure und Unternehmer indes eine grössere Anzahl hochwertiger Gebäude erstellt, als man allgemein annehmen könnte.
Das Ziel der Recherchen und der Darstellung des Bauens in Texten, Plänen und Bildern ist es, die Werte der modernen Architektur und der neueren städtebaulichen Bedingungen zu erfassen und zu vermitteln. In einer Zeit, in der im Rahmen des ökologischen Übergangs bereits die Frage nach dem Ende des «Betonzeitalters» gestellt wird, sollen diese und weitere Publikationen unseren Blick schärfen und unser Wissen über das Bauen und seine Grundsätze in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts bereichern. Auf diese Weise schlagen wir eine Bresche für die Offenheit gegenüber der Baukultur aus der jüngeren Vergangenheit. Die veröffentlichten Bauten figurieren mehrheitlich in der Liste schützenswerter Bauten des Ortsplans der Stadt Freiburg.
DIE AUSSTELLUNG: Flugschau und Bildserien zur dynamischen Epoche
Die begleitende Ausstellung, die sich an ein breites Publikum richtet, zeigt einen Teil der signifikantesten Realisierungen dieser dynamischen Epoche 1950-2000. Überraschende Perspektiven aus dem Blickwinkel einer Drohne zeigen grössere Stadtgebiete auf Bildtafeln. Fotoserien auf Bildschirmen illustrieren, das frühere und heutige Umfeld, die Bauentwicklung sowie Fassaden und Innenräume einzelner Gebäude und Siedlungen. Die Ausstellung umfasst vier Abteilungen:
A. Öffentliche Bauten und die Förderung der Baukultur durch Wettbewerbe.
Verwaltungsgebäude und kirchliche Gebäude von bemerkenswerter Qualität. Die Stadt, der Kanton und einige Pfarreien vergaben ihre Bauaufträge über offene oder beschränkte Wettbewerbe, die nicht zuletzt den Kulturwandel zur Moderne der Nachkriegszeit förderten.
B. Jean Pythoud (1925-2020): Pionier der modernen Architektur.
Jean Pythoud wird als kreativster Architekt in der Stadt der Jahre 1950–2000 geehrt. Von den Projekten, die er mehrheitlich Büro AAF entwarf, werden u.a. die drei 12-geschossigen Hochhäuser im Jura, die Wohnscheiben im Semi-Duplex, dem «Duplex der Armen», im Schönberg, ein Schulhaus der Vignettaz, das Haus von Teddy Aeby an der Unteren Matte, gezeigt.
C. Die Umwälzung des Stadtzentrums: Hochhäuser als moderne Akzente, vorfabrizierte Fassaden für den Kommerz und die Wandlungen des öffentlichen Raums.
Seit den ausgehenden 1950er Jahre verlagerte sich das kommerzielle und administrative Stadtzentrum aus der oberen Altstadt in die Umgebung des Bahnhofs. Die Unternehmen wollten vom Wirtschaftsboom profitieren und wünschten für ihre «weissen Kragen» und die Kundschaft helle und funktionale Räume. Die Hochhäuser und die vorgehängten Fassaden aus Glas und Aluminium setzten Marken der radikalen städtebaulichen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzung in und folgten dem Zeitgeist des optimistischen Aufbruchs
D. Die Wohnsiedlungen der Jahre des Aufbruchs: offene und begrünte Überbauungen.
Die neuen Wohnungen der Stadt Freiburg wurden in den Grosssiedlungen des Schönbergs, des Beaumont und des Jura gebaut. Sie entstanden für die Bevölkerungsschichten mit kleinem bis mittlerem Einkommen: Arbeiterfamilien aus der überfüllten Altstadt, Arbeitskräfte aus dem Süden Europas, Angestellte des boomenden tertiären Sektors und Studierende der Universität. Städtebaulich erfolgte ein Wechsel von der dichten Zeilenbebauung zum offenen und durchgrünten Verbund von grossen Solitärbauten.
Die Sektion Freiburg des SIA und das Amt für Kulturgüter danken der Loterie Romande, der Stadt Freiburg und vielen Sponsoren für die grosszügige Unterstützung der Publikation und der Ausstellung.