Das starre, alte Vormundschaftsrecht aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts gehört nun endgültig der Vergangenheit an. Die neue Bundesgesetzgebung über den Kindes- und Erwachsenenschutz (neue Bestimmungen des Zivilgesetzbuches) ist am 1. Januar 2013 in Kraft getreten und bietet künftig ein weit grösseres Spektrum an Massnahmen. Mit diesen kann den Eigenheiten jedes einzelnen Falles Rechnung getragen werden und der betroffenen Person und ihrer Familie wird die angemessene Bedeutung zugestanden. Die neue kantonale Ausführungsgesetzgebung ihrerseits festigt die Organisation der Schutzbehörde.
Zu den prägenden Neuerungen des Bundesrechts gehören die Bestimmungen zur Förderung des Selbstbestimmungsrechts, die verschiedene Instrumente vorsehen, damit auch im Fall einer Urteilsunfähigkeit die Selbstbestimmung der Person gewahrt werden kann. Dazu gehören die Patientenverfügungen im Bereich der medizinischen Behandlungen und der Vorsorgeauftrag, mit dem eine Person eine natürliche oder juristische Person bezeichnen kann, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die Vermögenssoge übernehmen oder sie im Rechtsverkehr vertreten soll.
Der Wille, den Eingriff des Staates zu reduzieren, zeigt sich auch am Bestreben, die Solidarität in der Familie zu stärken. Mit einer neuen Bestimmung wird der Grundsatz der gesetzlichen Vertretung durch die Ehegattin oder eingetragene Partnerin respektive durch den Ehegatten oder eingetragenen Partner im Gesetz verankert. Somit erhalten diese im Fall der Urteilsunfähigkeit ihres Partners das Vertretungsrecht für alle Rechtshandlungen zur Deckung des Unterhaltsbedarfs und zur ordentlichen Verwaltung des Einkommens und des Vermögens. Das neue Recht stärkt auch den Rechtsschutz urteilsunfähiger Personen in ihrer Beziehung mit den Pflege- oder Wohnheimen, in denen sie leben, sowie der Personen, für die eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet wurde (zuvor: fürsorgerische Freiheitsentziehung FFE).
Die alten behördlichen Massnahmen (Vormundschaft, Beistandschaft und Beiratschaft) werden durch eine einzige Massnahme, die Beistandschaft, ersetzt. Diese gliedert sich jedoch in vier unterschiedliche Anwendungsformen, die gezielt an die einzelnen Fälle angepasst werden können. Die Beistandschaft wird nur als letztes Mittel angeordnet, wenn die oben erwähnten Massnahmen nicht vorhanden sind oder nicht genügen, um den Bedarf an Hilfe und Schutz der betroffenen Person zu decken.
Stärkung der Friedensgerichte
Die kantonale Organisation wird von der Reform des Zivilgesetzbuches nur gering tangiert. Das Friedensgericht bleibt weiterhin Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde. Der Personalbestand des Friedensgerichts wird jedoch verstärkt, damit die neuen Aufgaben aus dem neuen Recht bewältigt werden können (vertiefte Prüfung der Fälle, Kontrolle der Aufträge der Beistände, etc.). Die laufenden Vormundschaftsmassnahmen müssen innerhalb von drei Jahren an das neue Recht angepasst werden.
Das Friedensgericht setzt sich in seiner Funktion als Schutzbehörde aus drei Mitgliedern zusammen: der Friedensrichterin oder dem Friedensrichter, die oder der zukünftig zwingend über eine juristische Ausbildung verfügen muss, sowie aus zwei Beisitzerinnen oder Beisitzern, die Kompetenzen in den betreffenden Fachbereichen nachweisen müssen (zum Beispiel Psychologie, Pädagogik, Sozialarbeit, Gesundheit, Vermögensverwaltung). Mit dieser Stärkung der Kompetenzen der Schutzbehörde soll das Ziel erreicht werden, dass für jeden einzelnen Fall die geeignetste Massnahme oder Kombination von Massnahmen gewählt wird.
Errichtung von Berufsbeistandschaften in den Gemeinden
Für die Anwendung der Massnahmen verpflichtet das neue kantonale Gesetz über den Kindes- und Erwachsenenschutz jede einzelne Gemeinde, alleine oder im Verbund mit anderen Gemeinden eine öffentliche Berufsbeistandschaft zu errichten. Ähnlich wie bei den Beisitzerinnen und Beisitzern müssen auch die Beiständinnen und Beistände gemäss den Bestimmungen der Verordnung über den Kindes- und Erwachsenenschutz Kompetenzen in einem oder mehreren erheblichen Fachbereichen nachweisen können (Recht, Sozialarbeit, Psychologie etc.). Die Gemeinden verfügen über eine Frist bis zum 31. Dezember 2013, um ihre Berufsbeistandschaft zu errichten. In ausserordentlichen Fällen kann die Sicherheits- und Justizdirektion eine Fristverlängerung von einem Jahr gewähren.
Abschliessend ist zu erwähnen, dass das System der Aufsicht und der Beschwerde vereinfacht worden ist. Der Justizrat übt die Aufsicht über die Schutzbehörden aus, während das Friedensgericht die Tätigkeiten der Beiständinnen und Beistände beaufsichtigt. Das Kantonsgericht ist neu die Beschwerdeinstanz, deren Entscheide vor Bundesgericht angefochten werden können.