Beurteilung der Bewerbungsdossiers
Zahlreiche Studien, die in verschiedenen Ländern – einschliesslich in der Schweiz – durchgeführt wurden, zeigen: Ein identischer Lebenslauf erfährt nicht die gleiche Beurteilung; diese hängt davon ab, ob er einem Mann, einer Frau, einer Person mit fremdländischem Namen usw. zugeschrieben wird.
Geschlecht, Alter, Name, Familienstand, Hautfarbe und Ethnizität sind alles Schubladisierungen, aus denen Verzerrungen und Diskriminierungen entstehen. Wie kann eine möglichst objektive und nichtdiskriminierende Auswahl sichergestellt werden? In der Folge finden Sie einige Tipps.
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Ausgehend vom vorgehend festgelegten Profil wird eine Bewertungsraster erstellt und die Kriterien gewichtet. Wird dieses Raster für die Beurteilung aller Bewerbungen verwendet, sinkt die Gefahr, dass andere Bewertungskriterien angewandt werden oder dass sie abhängig von persönlichen Eindrücken und Einschätzungen anders gewichtet werden.
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Durch eine getrennte Beurteilung der Kriterien der Bewerbungsdossiers wird verhindert, dass sich die Kriterien untereinander beeinflussen. Dies wird «Halo-Effekt» genannt. Diese kognitive Verzerrung entsteht, wenn ein erster Eindruck die Bewertung der folgenden Punkte beeinflusst. Schneidet beispielsweise eine Bewerbung beim ersten Kriterium ausgezeichnet ab (z. B. Ausbildungsstätte mit ausgezeichnetem Ruf), erscheinen uns die weiteren Kriterien ebenfalls als gut erfüllt, auch wenn die Tatsachen eine andere Sprache sprechen. So kann dieser Effekt auch das Gegenteil bewirken: Eine schlechte Bewertung des ersten Kriteriums (z. B. Abschluss einer weniger bekannten Ausbildungsstätte) wird sich nachteilig auf die restliche Beurteilung auswirken.
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Einige Kompetenzen, Qualifikationen oder Erfahrungen können durch ausserberufliche Tätigkeiten erworben werden. Konzentriert sich die Analyse der Bewerbung einzig auf die offensichtliche berufliche Laufbahn, werden alle Personen benachteiligt, die nicht immer den Grossteil ihrer Zeit ihrer Berufstätigkeit widmen konnten (aufgrund familiärer Pflichten, der Migration, Gesundheitsproblemen oder einer Behinderung zum Beispiel).
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Bewerbungsdossiers enthalten eine Reihe von zweitrangigen Informationen, die die Beurteilung der formellen Aspekte beeinflussen und so zu mangelnder Objektivität führen können. Diese Informationen betreffen beispielsweise die Empfehlungen, der vermutete Ruf der Ausbildung, die Hobbies, aber auch der Wohnort usw.
Man muss sich dessen bewusst sein, um einen zu grossen Einfluss dieser Verzerrung zu verhindern und sich streng an die Kriterien des Bewertungsrasters zu halten. -
Das Entfernen der demografischen Daten (Alter, Geschlecht, Familienstand, Nationalität usw.) vor der Beurteilung kann helfen, eine Reihe von impliziten Verzerrungen zu verhindern. Um eine möglichst hohe Anonymisierung sicherzustellen, müssen auch die Angaben zur Ausbildung und zur beruflichen Laufbahn sowie die Beschäftigungsgrade verdeckt werden. Andernfalls können die demografischen Daten möglicherweise immer noch aus diesen Informationen abgeleitet werden.
Achtung: für die Erstellung von Rekrutierungsstatistiken müssen die demografischen Daten in jeder Etappe mit den Dossiers verbunden werden können.
Wenn Sie Ziele für zu berücksichtigende «Minderheitenbewerbungen» festgelegt haben, kann die Anonymisierung natürlich nicht auf die gleiche Weise angewandt werden. -
Halten Sie sich an Ihre Vorgabe, wenn Sie eine Mindestzahl von Bewerbungen von Frauen (oder anderen wenig vertretenen Kategorien/Minderheiten im Unternehmen oder in der Stelle) definiert haben! Wenn das Stelleninserat nicht ausreichend Bewerbungen erhält, prüfen Sie den Text des Inserats und die Verbreitungskanäle.
Vorstellungsgespräch
Das Vorstellungsgespräch ist eines der bevorzugten Mittel bei der Rekrutierung. Ohne zweckmässige Vorbereitung kann es jedoch rasch für beide Parteien zur Falle werden.
Wie führen Sie ein möglichst geschlechtergerechtes Vorstellungsgespräch?
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Ein strukturiertes und standardisiertes Vorstellungsgespräch stellt sicher, dass die Hauptthemen mit jeder sich bewerbenden Person auf die gleiche Weise angesprochen und vertieft werden. So wird beispielsweise empfohlen, für jede Kompetenz 2–4 Fragen vorzubereiten und allen die gleichen Fragen zu stellen.
Dadurch kann das Abschweifen auf informelle Themen oder persönliche Vorlieben ohne Bezug zur Stelle oder zur Arbeit verhindert werden.
So kann auch verhindert werden, dass unterschiedliche Fragen gestellt werden oder dass sie abhängig von den stereotypen Erwartungen anders formuliert werden. -
Wie bei der Vorbereitung des Profis und der Beurteilung der Bewerbungsdossiers ermöglicht der Gesprächsleitfaden, die Bewertungskriterien zu nennen und zu vereinheitlichen und so Verzerrungen zu verhindern.
- Festlegen der anzusprechenden Themen und der zu stellenden Fragen gestützt auf das vorgehend erstellte Kompetenzprofil.
- Definition der Gewichtung jeder Frage zum Voraus.
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Kompetenzen werden nicht nur im Beruf angeeignet, sondern auch durch ausserberufliche Tätigkeiten und Engagements (z. B. Haushaltsführung, formelle oder informelle Freiwilligenarbeit).
Es ist deshalb wichtig, Fragen vorzubereiten, die die nichtberufliche Biografie miteinschliessen, um den Kompetenzerwerb zu prüfen. Dadurch wird eine grössere Vielfalt an Erfahrungen gewürdigt und es wird verhindert, dass Personen mit weniger linearen Laufbahnen benachteiligt werden. -
Achten Sie darauf, dass jedes Vorstellungsgespräch unter guten und vergleichbaren Bedingungen geführt wird.
Empfehlenswert sind z. B.:- die Einplanung von ausreichend Zeit für jedes Vorstellungsgespräch;
- die erste Hälfte des Morgens oder der Beginn des Nachmittags zu bevorzugen. Studien haben nämlich aufgezeigt, dass kurz vor Mittag und am Ende des Tages durchgeführte Beurteilungen strenger und traditioneller sind. Dies hängt möglicherweise mit der Müdigkeit und dem Hunger zusammen. «Atypische» Personen (Geschlecht, Herkunft, Laufbahn usw.) werden in solchen Momenten öfter hintenangestellt;
- die gleiche Zusammensetzung der anwesenden Personen (wenn das Vorstellungsgespräch mit mehreren geführt wird);
- den gleichen Ort und Anordnung zu verwenden (z. B. der Tische und Stühle, Sitzordnung);
- den gleichen Ablauf beizubehalten (Begrüssung – Gespräch – mögliche konkrete Situationen – Abschluss).
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Die Transparenz bezüglich verhandelbarer Aspekte macht das Gelände geschlechtergerechter – Personen mit bereits privilegierten Kenntnissen oder mit einer starken Verhandlungsposition erhalten so keinen Vorteil.
Dazu gehören z. B.:- die Information über verfügbare flexible Arbeitszeitmodelle;
- die Information zur Lohnpraxis und zu den für die betroffene Stelle möglichen Spannen;
- die Information über andere Vorteile oder Angebote des Unternehmens (Sozialleistungen, Weiterbildung usw.).
Eignungstests und gestellte Situationen
Auch wenn Vorstellungsgespräche weit verbreitet sind, zeigen wissenschaftliche Studien, dass bestimmte Eignungstests, gestellte Situationen oder aber Assessment Center oft zuverlässiger sind, um die Kompetenzen und das Verhalten der Personen in Zusammenhang mit einer zukünftigen Arbeitssituation zu beurteilen.
Es wird deshalb empfohlen, das Gespräch je nach verfügbaren Mitteln und Wichtigkeit der freien Stelle mit einem dieser Ansätze zu ergänzen.
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Es gibt eine Vielzahl von Persönlichkeits-, Intelligenz- und anderen Eignungstests – aber vor allem mehr oder weniger seriöse Anbieter. Es ist wichtig, sich gut über ihre Sachdienlichkeit und ihren wissenschaftlichen Wert zu informieren. Die Durchführung eines Tests und seine Auswertung müssen von Fachpersonen begleitet werden.
Dieser Artikel erinnert an einige wichtige Aspekte bezüglich Verwendung von Tests im HR-Bereich und zählt die Tests auf, die zu vermeiden sind. -
Mit gestellten Situationen kann getestet werden, wie eine Person konkrete Aufgaben ihrer zukünftigen Anstellung ausführt (z. B. Nutzung von Hilfsmitteln) oder in Situationen reagiert, die Teil ihres Berufsalltags sein werden (z. B. mit einem Rollenspiel).
Dies ist eine ideale Art, um die Beurteilung des Bewerbungsdossiers und das persönliche Gespräch zu ergänzen. Der Vorteil dabei besteht darin, zu sehen, wie die Person die Arbeit erledigt und nicht wie sie sagt, dass sie sie macht oder wie Sie denken, dass sie sie machen wird.
Auswahl
Letzter Schritt: der Entscheid gestützt auf die Ergebnisse des Vorstellungsgesprächs und der gestellten Situationen. Wie werden in diesem Schritt Verzerrungen verhindert?
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Wie oben bei den Bewerbungsdossiers erwähnt ermöglicht die themenweise und transversale Beurteilung der Bewerberinnen und Bewerber (Vergleich ihres Ergebnisses), sich dem Halo-Effekt zu entziehen – das heisst der kognitiven Verzerrung, die uns dazu bringt, eine Person aufgrund eines einzigen Kriteriums insgesamt günstiger zu beurteilen.
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Wenn die Auswahl von einem Ausschuss getroffen wird, teilen zunächst alle Mitglieder ihre Ergebnisse der Beurteilung (persönliche Shortlist) mit, bevor alle Bewerberinnen und Bewerber nacheinander gemeinsam besprochen werden.
Dies verhindert Anpassungen der Einschätzung aufgrund des Gruppeneffekts oder der hierarchischen Position. Es ist wichtig, dass die Argumente jedes Mitglieds der Jury/des Ausschusses berücksichtigt werden können, um die Wirkung der vielfältigen Werdegänge und Erfahrungen nicht zu verlieren, deren Ziel es ist, eine zu grosse Homogenität der Beurteilungen zu hinterfragen.
Rekrutieren, ohne zu diskriminieren: Schritt für Schritt
Jede Etappe des Bewerbungsverfahrens bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Hier finden Sie Tipps und gute Praktiken für jede Etappe.